Sorge solidarisch organisieren:
Fünf Jahre Care Revolution

Es könnte schön und bereichernd sein – sich um sich selbst und umeinander zu kümmern, Menschen freundschaftliche, nachbarschaftliche, professionelle Unterstützung zu geben. Stattdessen führen die Bedingungen, unter denen wir diese Sorgearbeit leisten, viele von uns zur Erschöpfung, in Armut oder zum Verlust von Empathie, weil all die nötige Sorge gar nicht leistbar ist.

Um dem entgegenzutreten, gründete sich vor fünf Jahren das Netzwerk Care Revolution. Einer unserer Ausgangspunkte war: Wir werden uns nicht als Care-Beschäftigte, als Sorgearbeitende in Familien und Nachbarschaften oder als Menschen, die auf Sorge angewiesen sind, gegeneinander ausspielen lassen. Wir werden die Bedürfnisse aller, die in Sorgebeziehungen sind, wahrnehmen und anerkennen. Und dass so viele Menschen von der Sorgearbeit überfordert sind, zeigt dies: Nicht die einzelnen Sorgearbeitenden versagen, sondern das Gesellschaftssystem. Dabei gibt es keinen Grund zur Annahme, dass es im Rahmen eines neoliberalen Kapitalismus besser werden kann. Denn wir sehen aktuell drei Trends, die uns Sorgearbeitende unter immer größeren Druck setzen.

  • Kostenminimierung: Solange im Zentrum der Ökonomie der maximale Profit sowie die Konkurrenz des Standorts Deutschland mit anderen Staaten stehen, soll Sorgearbeit vor allem eines sein: billig. Billiger wird sie beispielsweise, wenn durch Fallpauschalen in der Krankenhausfinanzierung die Verweildauer von Patient_innen immer kürzer wird, während die Anzahl der Patient_innen, die eine Pflegekraft zu betreuen hat, immer größer wird und gleichzeitig der Staat die in den Krankenhäusern notwendigen Investitionen nicht finanziert.
  • Privatisierung: Sorgearbeit soll nicht nur billig sein, sondern auch zu einem Feld der Kapitalanlage werden. Dies geschieht etwa in der Altenpflege, wo von Jahr zu Jahr der Anteil von Heimen wächst, die im Besitz privater Ketten wie Curanum oder Pro Seniore sind, die wiederum Eigentum von Konzernen oder Hedgefonds sind. Diese Heime konkurrieren nicht nur mit anderen um Pflegebedürftige, sie müssen dabei auch Rendite abwerfen. Und so ist es kein Zufall, dass die Löhne in privaten Heimen besonders niedrig sind und Tarifverträge weitgehend unbekannt.
  • Verlagerung in Familien: Am billigsten ist Sorgearbeit dann, wenn sie kostenlos stattfindet. Dies geschieht zum allergrößten Teil in Familien. Sich um nahestehende Menschen zu kümmern, ist sinnvoll und von den Sorgenden gewünscht sein. Wenn jedoch Menschen, die für Pflegebedürftige Verantwortung übernehmen, oder Alleinerziehende, zu ca. 90% Mütter, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, drohen sie in Armut zu geraten, sofort oder spätestens mit der Rente. Dies durch mehr Erwerbsarbeit auszugleichen, führt zu Überforderung – und für Kinder oder Pflegebedürftige bleibt immer zu wenig Zeit.

Deshalb wehrt sich Care Revolution seit fünf Jahren gegen Kostendruck, Privatisierung und Familiarisierung. Stattdessen wollen wir zunächst die Rahmenbedingungen für entlohnt und unentlohnt Sorgearbeitende verbessern. Das bedeutet unter anderem eine Würde und Teilhabe sichernde, sanktionsfreie Grundsicherung, einen ausreichenden Mindestlohn, eine Verkürzung der Vollzeit-Erwerbsarbeit und einen Ausbau öffentlicher, unterstützender Infrastruktur. Schon eine Umsetzung dieser ersten Schritte würde die Situation Sorgearbeitender verbessern und die Belastung verringern.

Doch wir wollen mehr. Denn wogegen wir uns wenden, ist nicht einfach das Ergebnis verfehlter Politik. Solange Care ein Mittel privater Bereicherung bleibt, werden dem Primat der Kapitalverwertung menschliche Bedürfnisse untergeordnet. Wir werden immer wieder gegen diese Wand laufen und all unsere Kraft aufwenden müssen, um sie wenigstens ein kleines Stück zu verschieben. Letztlich wollen wir jedoch erreichen, dass Care zur gesellschaftlichen Aufgabe wird, die bedürfnisgemäß und nicht entlang von Geschlecht, Nationalität und Hautfarbe verteilt wird.

Denn Sorgebeziehungen sind im Leben aller Menschen zentral; die Care-Arbeit, die wir im Beruf, in Familien oder als soziales Engagement leisten, ist gesellschaftlich notwendig. Für diese Aufgaben müssen allen, die sie ausüben, genügend Zeit, Ressourcen und Unterstützung durch Fachkräfte zur Verfügung stehen. Kein Mensch darf von dieser Befriedigung seiner Sorgebedürfnisse etwa wegen Armut oder wegen der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen werden. Care als gesellschaftliche Aufgabe zu betrachten, bedeutet gleichzeitig, die Geschlechterverhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen und aufzubrechen, die unter der Hand Frauen – Mütter, Töchter, Partnerinnen, unter schlechten Bedingungen arbeitende migrantische Care-Arbeiterinnen – die Sorgeaufgaben zuschieben.

Eine solche gesellschaftliche, solidarische Lösung werden wir nicht erreichen, solange Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Pflegeheime in Privateigentum sind und profitorientiert wirtschaften. Wir wollen den Trend zur Privatisierung im Care-Bereich stoppen und gesellschaftliche Verfügung über derzeit private Einrichtungen wiedererlangen. Denn jede ausgeschüttete Million an Profite bedeutet weniger Pflegekräfte; wo die Verfügungsgewalt privater Eigentümer herrscht, sind umfassende demokratische Entscheidungen nicht möglich.

Wenn wir es aber ernst damit meinen, Sorge solidarisch zu organisieren, brauchen wir diese radikale Demokratie. Deswegen streben wir erstens eine soziale Infrastruktur an, in der alle Betroffenen über das Angebot und über die Gestaltung der Sorgebeziehungen gemeinsam entscheiden können. Und deswegen setzen wir uns zweitens auch für gemeinschaftliche Lösungen ein, von der Poliklinik im Stadtteil bis zum gemeinsamen Kochen und Kümmern um die Kinder.

Letztlich braucht gelingende Sorge noch mehr: Wohnungen, in denen auch viele Menschen zusammenleben können; Stadtteile, die Raum für kollektive Sorgeeinrichtungen haben; Achtsamkeit für die Bedürfnisse aller Menschen, die hier leben; Teilhabe aller an allen Entscheidungen, die sie betreffen. Eine solche solidarische Gesellschaft, die Menschen dabei unterstützt, sich umeinander zu kümmern, ist das, wofür wir uns einsetzen. Im Sorgebereich fangen wir an. Hier kämpfen wir – so lange, bis wir unser Ziel erreicht haben.

Mach mit! Care Revolution-Gruppen gibt es bereits in über 10 Städten. Zu finden sind wir im Netz unter www.care-revolution.org und bei Facebook.