Forschungsverbund „ForGenderCare“ stärkt die Sichtbarkeit care-politischer Initiativen.
Beitrag in der Reihe Perspektiven von Katja Schmidt (Artikel als PDF).
Care betrifft alle Menschen und gehört zu den existentiellen Voraussetzungen jeden Lebens. Unsere Gesellschaft befindet sich derzeit in einem tiefgreifenden Wandel, der auf das Engste verwoben ist mit dem generellen und in Deutschland besonders markanten sozialen Wandel von der Industriegesellschaft hin zur globalisierten und beschleunigten Dienstleistungs- und Wissensökonomie. Dieser Wandel berührt auch und wesentlich die Organisation von Care-Arbeit. Der Forschungsverbund „Gender und Care – Dynamiken von Fürsorge im Kontext von Institutionen, Praxis, Technik und Medien in Bayern“ untersucht Care als Gegenstand politischer, medialer, historischer und nicht zuletzt individueller und familialer Gestaltung. Nach fast drei Jahren intensiver gemeinsamer Arbeit zeigen sich dabei Querverbindungen, die das ursprüngliche Projekt, Geschlecht und Fürsorge miteinander verschränkt zu untersuchen, sowohl präzisieren als auch in einen weiteren, gesamtgesellschaftlich relevanten Rahmen stellen: So durchziehen Fragen nach dem „guten Leben”, der Lebensqualität, die Projekte durchgehend. Inwieweit müssen gängige Konzepte von Erwerbs- und Fürsorgearbeit neu gedacht werden, um der Positionierung von Care zwischen öffentlich und privat, ökonomisiert und intim, lebensnotwendig und verworfen, gerecht zu werden?
Denn die konstatierte Care-Krise ist letztlich eine Krise der sozial- und geschlechterpolitischen Rahmenbedingungen. Dieser Zusammenhang wird insbesondere am Beispiel erwerbsförmiger Pflegearbeit sichtbar, die von Ökonomisierungsprozessen, Minutenpflege und pauschalierten Behandlungsstandards genauso geprägt ist, wie von prekären Beschäftigungsverhältnissen, der Ausweitung eines Niedriglohnsektors und einem eklatanten Fachkräftemangel. Trotz des steigenden Bedarfs an Pflegepersonal nutzen wenige Beschäftigte ihre Organisations- und Verhandlungsmacht, sondern kompensieren die mangelnde Regulierung und Ausstattung des Pflegesystems durch enorme zusätzliche Anstrengungen, die aus einem subjektivierten Verantwortungsgefühl gespeist sind. Jedoch ist es in den letzten Monaten und Jahren zunehmend gelungen, die zugrundeliegenden Rahmenbedingungen öffentlichkeitswirksam zu thematisieren: Genannt seien an dieser Stelle gewerkschaftliche Arbeitskämpfe wie der Charité-Streik in Berlin, der mit richtungsweisender Unterstützung bürgerschaftlicher Unterstützungsbündnisse einhergeht, und die aktuelle Tarifkampagne für mehr Pflegepersonal in den Krankenhäusern sowie regionale Graswurzelinitiativen wie „Pflege am Boden“ und die von ihnen mitgetragene „Kampagne Bundeweite Gefährdungsanzeige“ regelmäßige politische Talksendungen im Zuge der Wahlkampfarena bis hin zu aktuellen Debatten in sozialen Netzwerken, wie der Hashtag #twitternwierueddel.
Diese vielfältigen Ebenen und Interventionen deuten auf zwei zentrale Aspekte für die Politisierung von Care-Bedingungen hin. So kann einerseits danach gefragt werden, welches Störungs- und Veränderungspotenzial die arbeitspolitische Interessenvertretung von Care-Beschäftigten hat. Andererseits sind die Bedingungen von bezahlter und unbezahlter, häuslicher und familialer Betreuungs- und Sorgearbeit eng miteinander verwoben und somit ein breitenwirksames Thema mit einer Vielzahl an Protagonist*innen. Ein Abbild der verschiedenen gegenwärtigen und potenziellen Akteur*innen bietet nicht zuletzt das Care Revolution Netzwerk, in dem sich über 70 Initiativen und Einzelpersonen mit verschiedenen politischen Hintergründen bündeln. Um die vielfältigen Akteur*innen sichtbar zu machen und durch gemeinsame Aktivitäten zu stärken, bedarf es solche Impulse der Vernetzung.
Auf Initiative des an der OTH Regensburg angesiedelten Teilprojektes „Arbeitsbedingungen und Interessenvertretung von Pflegekräften in Bayern“ und mit Unterstützung von weiteren Mitgliedern des Verbundes soll die systematische Vernetzung von und mit Praxispartner*innen umgesetzt werden. In Kooperation mit der Münchner Volkshochschule veranstaltet der Verbund am 30. Juni 2018 das Kümmert Euch! BarCamp in München. Zentrale Inhalte orientieren sich an folgenden Fragen:
- Wie können Menschen, die im Feld von Fürsorge, Care, Sich-kümmern tätig sind, politisch handeln, sichtbar werden, und sich gegenseitig unterstützen?
- Welche Initiativen gibt es schon?
- Wie können konkrete Aktionen und Bündnisse gestaltet werden?
- Wie können wir das „gute Leben“ politisch mitgestalten?
- Welche Rahmenbedingungen braucht es dazu?
Intensiver Wissensaustausch und Vernetzungsaktivitäten stehen bei BarCamps im Vordergrund und bieten somit die Grundlage zum gemeinsamen Lernen für Menschen, die in Fürsorge, Pflege, Erziehung und Sozialpolitik tätig sind. Das Barcamp lädt alle Menschen ein, die Fürsorge empfangen oder geben, ob professionell, ehrenamtlich, oder unentgeltlich im Privathaushalt und sich für mehr Sichtbarkeit und Anerkennung von Fürsorgetätigkeiten engagieren möchten. Das offene Format BarCamp unterstützt diesen Anspruch, indem das Programm vor Ort von den Teilnehmer*innen selbst gestaltet wird. Ein Barcamp beginnt mit einer kurzen Vorstellungsrunde der Anwesenden. Jede*r kann zu Beginn eine Session – einen Workshop, Vortrag, das Vorstellen einer Initiative, open space, oder etwas ganz anderes – vorschlagen. Diskussion, Kennenlernen und Erfahrungsaustausch sind genauso möglich wie das gemeinsame Planen und Entwickeln konkreter Projekte. Jede Session dauert dabei ca. 45 Minuten. Das Barcamp lädt alle Menschen ein, die Fürsorge empfangen oder geben, ob sie professionell, ehrenamtlich, oder unentgeltlich im Privathaushalt tätig sind, denn Vernetzung und Sichtbarmachung sind wichtig, um Veränderungen zu erwirken und zukünftige Rahmenbedingungen bedarfsorientiert im Sinne eines „guten Leben für alle“ zu gestalten.
Die Veranstaltung ist kostenlos und der Veranstaltungsort barrierefrei zugänglich. Aufgrund der begrenzten Raumkapazität ist eine Anmeldung (bis 15. Juni 2018) erforderlich und ab sofort möglich unter barcamp@forgendercare.de oder direkt über die Homepage www.kuemmerteuchbarcamp.org.
Wir freuen uns über rege Teilnahme und Weiterverbreitung über soziale Netzwerke https://www.facebook.com/events/155597865170817/ Mailverteiler und persönlich.