Care Revolution | Geschichte
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Geschichte

Gründung des Netzwerks

Die Geschichte des Netzwerks Care Revolution beginnt etwa im Sommer 2012. Damals lud das Feministische Institut Hamburg zu einem Treffen ein, das die Möglichkeit zu einem vertieften Austausch über Feminismus und die Kritik der politischen Ökonomie bieten sollte. Aus diesem Treffen heraus wurde von etwa 10 Personen der überregionale „Arbeitskreis Reproduktion“ gegründet, in dem zunächst unterschiedliche Analysen zur Krise sozialer Reproduktion diskutiert wurden.

Am neu gegründeten Arbeitskreis waren auch Menschen beteiligt, die im Jahr 2010 in Berlin das Event „Who Cares? Queerfeminismus und Ökonomiekritik“ organisiert hatten. Diese mehrtägige Veranstaltung mit ca. 400 Menschen war keine klassische Konferenz, sondern es wurden gemeinsam unterschiedliche Formate für Austausch, Debatten und Informationsvermittlung entwickelt. Auf diesem Event hatte sich der große Bedarf gezeigt, gesellschaftliche und politische Fragen der sozialen Reproduktion auf die politische Agenda zu setzen. Deutlich wurde dabei die Notwendigkeit von Begegnung, Vernetzung und Solidarisierung in diesem von sozialer Unsicherheit und Vereinzelung durchzogenen Feld.

Im Frühjahr 2013 entschied sich der AK Reproduktion, auch politisch zu intervenieren. Gemeinsam mit dem Feministischen Institut Hamburg und der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde zu einer Aktionskonferenz Care Revolution aufgerufen. Anschließend begann ein Jahr der Mobilisierung, Diskussionen, Vernetzung und gemeinsamen Vorbereitung der Konferenz. In drei Städten fanden öffentliche Vorbereitungstreffen statt, um möglichst viele Unterstützende und Teilnehmende zu gewinnen. Es konnten nach und nach 70 Organisationen und Gruppen als Kooperationspartner_innen gewonnen werden.

Die Themen und der Ablauf der Konferenz wurden gemeinsam diskutiert und beschlossen. Gruppen und Einzelpersonen schlossen sich zu Arbeitsgruppen zusammen und übernahmen im Vorfeld die Verantwortung für konkrete Workshops, beteiligten sich an der Erstellung von Mobilisierungsmaterial und organisierten eine Demonstration und Kundgebung für die Aktionskonferenz. Vor der Konferenz wurde ein Moderationsworkshop organisiert, um sich gemeinsam weiterzubilden, partizipative Methoden zu üben und auch auf diese Weise möglichst vielen Menschen eine aktive Mitgestaltung der Konferenz zu ermöglichen.

Mit etwa 500 Teilnehmenden war die dreitägige Aktionskonferenz Care Revolution im März 2014 sehr gut besucht. Zum Auftakt stellten acht Initiativen ihr Engagement und ihre politischen Ziele in verschiedenen Bereichen der Care-Arbeit vor. Es folgten 19 Workshops und eine Demonstration und Mitmach-Kundgebung, die – unterstützt von der Musikerin Bernadette La Hengst („I do care, I love it“) – unsere Anliegen auf die Straße brachte. In den Workshops diskutierten die Teilnehmenden ihre Erfahrungen und politischen Anliegen zu vielen Facetten des Themas Care in verschiedenen Care-Berufen, in der sozialen Infrastruktur, in Familien und Beziehungen bis hin zur Selbstsorge.

Grundlegend war hierbei, stets verschiedene Perspektiven zusammenzubringen und Solidaritäten auszuloten, zwischen bezahlt und unbezahlt Care-Arbeitenden und denen, die Care-Arbeit benötigen. Dabei stellten sich Gemeinsamkeiten ebenso wie Widersprüche heraus. Die Atmosphäre war jedoch solidarisch und produktiv, geprägt von lebendigem Austausch, intensiven Diskussionen, der Entwicklung gemeinsamer Ideen und vielen Flurgesprächen zwischen Teilnehmenden mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und politischen Verortungen. Zum Abschluss wurde eine Resolution verabschiedet und die Gründung des Netzwerks Care Revolution beschlossen. Wir verstehen das Netzwerk als Teil einer im Werden begriffenen Care-Bewegung.

Das Netzwerk Care Revolution – Aktivitäten von der Gründung bis 2019

Auch wenn sich das Netzwerk Care Revolution erst ein paar Wochen später konstituierte, stand seine Gründung mit dem Erfolg der Aktionskonferenz im März 2014 fest. Etwa 500 Teilnehmer*innen sorgten dafür, dass der Versammlungsraum im ND-Haus und die Räume für die Workshops überfüllt waren, und die Anwesenden konnten auch feststellen, wie anregend und notwendig Diskussionen sind, die über verschiedene Sorgeerfahrungen und politische Hintergründe hinweg geführt werden. Auch auf der Straße war Care Revolution schon vor der Aktionskonferenz ein Thema: Bei den Blockupy-Aktionen im Juni 2013 in Frankfurt/Main gab es bereits einen ersten Auftritt mit Care Revolution-Logo.

Das Netzwerk Care Revolution war, aus den Kooperationspartner*innen ersichtlich, von Beginn an ausgesprochen divers aufgestellt: Dabei waren etwa feministische Frauengruppen, Gewerkschaftsorganisationen, kirchliche Gruppen, Projekte der Selbstvertretung aus einer gemeinsamen Lage heraus, z.B. als pflegende Angehörige oder Menschen mit Behinderung, oder Gruppen aus der radikalen Linken. Entsprechend lebhaft waren die Diskussionen von Beginn an. Zum einen wurde aus der Neugier aufeinander und aus dem Wunsch, ins Handeln zu kommen, ein pragmatischer Umgang mit den vorhandenen Unterschieden gesucht. Zum anderen gab es viel inhaltlichen Klärungsbedarf.

Pragmatische Lösungen waren etwa erforderlich, damit bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen und Sprachgewohnheiten das Gemeinsame des Netzwerks erkennbar blieb und damit umgekehrt trotz des Konsenses die Vielstimmigkeit erhalten blieb. So beschlossen wir frühzeitig, dass das Netzwerk als Gesamtheit keine Aufrufe unterzeichnet, sondern dass dies den Regionalgruppen im Netzwerk überlassen bleibt, die sich auf kurzem Weg intern einigen können. Diese Regionalgruppen mussten erst einmal eingerichtet werden und wurden schnell zum eigentlichen Standbein des Netzwerks Care Revolution. Ursprünglich auch als örtliche Vernetzungen der an Care Revolution beteiligten Gruppen gedacht, entpuppten sie sich als geeignete Möglichkeit für interessierte Einzelpersonen, sich zu beteiligen. Diese in Regionalgruppen verbundenen Einzelaktivist*innen machten bald das Bild des Netzwerks aus. Neben dieser starken Rolle der Regionalgruppen, die jeweils über die eigenen Themen, Inhalte oder Bündnisse entscheiden, war wichtig, dass wir uns auf ein Konsensprinzip einigten, das bei allen wichtigen Entscheidungen gilt, dass einzelne Netzwerk-Mitglieder frei sind, in Workshops oder Artikeln ihr jeweiliges Verständnis von Care Revolution vorzustellen, und zugleich niemand als Sprecher*in des Netzwerks auftreten kann.

Damit auf dieser lockeren Basis nicht alles auseinander läuft, erhalten regelmäßige Diskussionen besondere Wichtigkeit. Diese wurden insbesondere auf den halbjährlichen Netzwerktreffen intensiv geführt, die es seit Herbst 2014 gibt. So forderten schon frühzeitig auf Assistenz angewiesene Aktivist*innen ein, nicht von Sorgegeber*innen und Sorgenehmer*innen zu sprechen, sondern anzuerkennen, dass trotz aller Asymmetrie, die es in Sorgebeziehungen gibt, alle Beteiligten aktiv zu deren Gelingen beitragen. Ebenso brauchte es intensiven Austausch, um den Blick zu schärfen, dass einerseits Sorgearbeit allgegenwärtig und zum Großteil unentlohnt, dabei aber abgewertet und übersehen ist und andererseits zugleich hochqualifizierte berufliche Sorgearbeit existiert, die dadurch abgewertet wird, dass ihre Fachlichkeit kleingeredet wird. Diese teils ungewohnten Positionen anzunehmen bedeutete beispielsweise für Gewerkschafter*innen wie für feministische Gruppen einen Lernprozess. Außer den Netzwerktreffen war die seit 2015 jährlich im Herbst stattfindende Werkstatt Care Revolution in Buchenbach bei Freiburg ein Ort des Austauschs und der Positionsbildung, an dem sich jeweils ca. 20 Aktivist*innen für ein Wochenende trafen.

Die halbjährlichen Netzwerktreffen wurden in immer wechselnden Städten organisiert. Vor allem aber gab es jede Menge Aktionen der im Netzwerk vertretenen Gruppen. Wer sich die Zeit nimmt, auf der Website die Artikel durchzugehen, findet dies eindrucksvoll bestätigt: Von Beginn an waren Care Revolution-Gruppen bei Blockupy-Aktionen und Pflege-Flashmobs, am 8.März oder am 1.Mai auf der Straße. Ebenfalls von Anfang an beteiligten sich lokale Gruppen an der Unterstützung von Arbeitskämpfen in Krankenhäusern, Kitas und Schulen. In diesem Kontext versuchen Care Revolution-Vertreter*innen regelmäßig dafür zu sorgen, dass auch die Perspektive z.B. von Patient*innen, pflegenden Angehörigen oder Eltern in den Blick kommt. Auch nach neuen Bündnismöglichkeiten wird ständig gesucht, z.B. auf lokalen Aktionskonferenzen, wie sie 2017 in Freiburg und Leipzig stattfanden.

Es gab nicht nur Care Revolution-Auftritte und Bündnisaktionen. Die Kooperationsgruppen betreiben ihre eigenen Projekte und berichten darüber. Ein Beispiel aus den vergangenen Jahren sind die ‚Lichtermeer’-Veranstaltungen, die die Äußerung politischer Positionen damit verbanden, behinderten Kindern ein wertschätzendes und schönes Erlebnis zu bieten. Kontakte im Netzwerk sorgten dafür, dass das, was Nicos Farm e.V. in Hamburg begann, in Frankfurt/Main aufgegriffen wurde. Auch nahestehende Gruppen wie die Poliklinik Veddel, die zu einer Stadtteilversorgung beiträgt, die zugleich inklusiv und politisch aktivierend ist, berichteten auf der Website. Zu diesen Aktionen in der Öffentlichkeit kam immer wieder auch diskursives Eingreifen hinzu, das Umfang und Vielfalt von Care-Arbeit verdeutlichte – diese Sicht war vor einigen Jahren noch viel weniger durchgesetzt als heute – und das die Verteilung von Sorgearbeiten nach Geschlechternormen angriff sowie zeigte, wie die Übernahme von Sorgeaufgaben in dieser Gesellschaft Armut und Altersarmut produziert.

An der Entwicklung der Care Revolution-Positionen hatten zudem viele einzelne Aktivist*innen einen Anteil, die in Büchern und Artikeln, Vorträgen und Wirkshops unseren Ansatz vorstellten. Als nur ein, allerdings zentrales Beispiel sei Gabriele Winkers Buch „Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ von 2015 erwähnt. Alle diese Beiträge führten zur Weiterentwicklung unserer Ideen. Gemeinsame Versuche, unsere Positionen fortzuschreiben, gab es seltener. Vor dem 5-jährigen Jubiläum 2019 wurde ein gemeinsames Papier verfasst. Dieses Jubiläum begingen wir im Rahmen des großen Feminist Futures Festivals in Essen, mit Workshop, Care-Catwalk, Präsentation des Netzwerks und Geburtstagsfeier.

Aktivitäten seit 2020

In der Corona-Pandemie verlagerte sich vieles, was in Tagungsräumen und Cafés, auf Demos und an Ständen passiert war, ins Internet. Das betraf auch unsere Netzwerktreffen und die Tätigkeit der Regionalgruppen. Allerdings liefen einige Aktivitäten, auch in Bündnissen, weiter. Ein Beispiel ist die Beteiligung der Dortmunder Regionalgruppe an der Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für alle“. So frustrierend diese Zeit auch wegen der Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten war, unternahmen wir auch neue Anläufe. Groß angelegt war die Kampagne „Ein Platz für Sorge“, bei der wir erstmals versuchten, lokale Bündnisse durch einen gemeinsamen, aber lokal abwandelbaren Aufruf, ein gemeinsames Logo und parallele Aktionen zu verbinden. Dabei ging es darum, den Sorgearbeitenden, die während Corona mehr Sichtbarkeit gewannen und zugleich noch mehr überlastet wurden, im Wortsinn öffentlichen Raum zu schaffen. Diese Kampagne, die 2021 in elf Städten auf verschiedene Weise umgesetzt wurde, veröffentlichte eine Broschüre, in der sie auf die Aktionen des Jahres zurückblickte.

Auch Gabriele Winkers auf „Care Revolution“ folgendes Buch „Solidarische Care-Ökonomie“ war aus der Pandemie heraus 2021 entstanden: In der Pandemie wurde die Verknüpfung der Katastrophen in sozialen Beziehungen und ökologischen Kreisläufen nochmals deutlicher. Dieses Thema erhält aktuell auch im Netzwerk mehr Raum. Insbesondere trafen sich Aktivist*innen von Care Revolution und der Klimabewegung im Arbeitskreis Care – Klima – Revolution. Auch der Krieg in der Ukraine setzt die Verknüpfung mit anderen sozialen Bewegungen auf die Agenda: Manche Care Revolution-Gruppen beteiligten sich 2022 und 2023 nicht nur am 8.März und 1.Mai sowie Klimastreiks, sondern auch an den Ostermärschen der Friedensbewegung.

Überregionale Arbeitsgruppen haben seit 2023 einiges erreicht. Unter anderem wurden mehrere Veranstaltungen – zu Vergesellschaftung und Care, zu Radikalität in der Sorgearbeit, mit ukrainischen Basisgewerkschafterinnen und Organisatorinnen des Kita-Streiks in Berlin – organisiert und zwei Broschüren, zu Erwerbsarbeitszeitverkürzung und Zeitsouveränität, erstellt. Die Broschüre zur Erwerbsarbeitszeitverkürzung stammt dabei aus einer AG, die sich als Fortsetzung des AK Klima – Care – Revolution konstituiert hat.

Neu ist auch die Zusammenarbeit mit dem Verein Solidarisch Sorgen, der als Kooperationsgruppe im Netzwerk dessen Arbeit umfassend unterstützt. Bedeutung hatte diese Kooperation zum Beispiel, als wir im Netzwerk Care Revolution die Aktionskonferenz ‚Let’s Socialize‘ zu Klimagerechtiglkeit und Vergesellschaftung, insbesondere den Care-Strang der Konferenz, mit vorbereiteten. Aus der Konferenz ist eine Vernetzung zu Sorgezentren entstanden, an der Care Revolution-Aktive weiterhin beteiligt sind.

Jubiläum: 10 Jahre Care Revolution

Im Oktober 2024 haben wir unser zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Über 100 angemeldete Teilnehmer*innen sowie Tagesgäste waren beim dreitägigen Event in Leipzig dabei. Das Jubiläum begann mit einer Podiumsdiskussion am Freitagabend. Liska Beulshausen (Wirtschaft ist Care) diskutierte mit Antje Schrupp, Mike Laufenberg und Nadia Shehadeh und dem Publikum darüber, was die Care Revolution für sie ausmacht, was in zehn Jahren erreicht wurde und was eben nicht. An Samstag gab es 18 Workshops  über den Tag verteilt, jeweils drei parallel. Das Angebot war ganz gemischt: Lesungen, Diskussionsrunden zu politisch-praktischen Themen wie Streiks in Care-Einrichtungen oder Sorgezentren, auch auf Hintergründe Gerichtetes wie Vergesellschaftung oder die von uns verwendeten Sorgebegriffe. Der Kopf konnte auch dadurch in Bewegung geraten, dass Hände und Füße in Gang kamen – in einem Bastelworkshop, einem Care-Spaziergang und einem Tanz-Workshop. Abends war dann Party. Sie war ausgiebig und wurde von Leuten aus der Leipziger Regionalgruppe wirklich liebevoll vorbereitet.

Am Sonntag nahmen sich die im Netzwerk Aktiven noch ein paar Stunden, um intern wichtige Fragen zu besprechen. Dabei ging es insbesondere um das, was gerade nicht so läuft, wie wir es uns wünschen. Das Netzwerk als solches ist zwar stabil, jedoch gibt es viel zu viele Menschen und Gruppen, die wir nicht erreichen oder aus verschiedenen Gründen auf dem Weg verlieren. Ebenso ist der Wunsch, vielstimmig und politisch unterschiedlich zu bleiben und zugleich mit klaren Positionen sichtbar zu sein, nicht leicht zu erfüllen. Das erfordert zunächst einen Rahmen, in dem wir uns über die Gruppen hinweg treffen, diskutieren und planen, einen Rahmen, in dem all das Spaß macht. Dies wird Thema des Netzwerktreffens im Frühling 2025 sein. Denn auch in den nächsten zehn Jahren haben wir noch viel miteinander vor.