Bericht vom Bürger*innenforum „Sorgende Kommune“ in Halle

Das Konzept der Sorgenden Stadt will durch gemeinsame oder sich ergänzende Aktivität von Kommunalpolitiker*innen und Aktivist*innen sozialer Bewegungen städtische (oder ländliche) Räume so umgestalten, dass die Sorgebedürfnisse aller Menschen erfüllbar werden. Es geht also um Veränderung der Gesellschaft von der kommunalen Ebene aus und um unmittelbare Verbesserung der Lebensbedingungen zugleich. Wie genau dies gelingen kann, ist Gegenstand von Debatten und Suchbewegungen. Von einer Veranstaltung in Halle berichtet Viola Schubert.

Initiiert durch das Kommunalpolitische Forum fand am 23. September 2023 in der  Neustädter Passage 13 eine erste Veranstaltung in Halle zu dieser  Thematik statt. Teilgenommen haben neben 2 Stadträtinnen vor allem VertreterInnen verschiedener Sorgeorganisationen aus der Stadt sowie einzelne BürgerInnen – insgesamt 20 Personen.

Eine sorgende Stadt/Kommune ist eine Vision von einem Ort, der das Wohlbefinden, das Leben und die Bedürfnisse aller Bürger*innen in den Fokus legt. Ein solcher Ort zeichnet sich dadurch aus, dass er eine gemeinwohlorientierte kommunale Sorgeinfrastruktur zur Verfügung stellt. Auf diese können sich alle Bürger*innen verlassen und haben den gleichen Zugriff – unabhängig von individuellen Ressourcen, Biografien und Verhältnissen. Zudem haben in einer sorgenden Kommune alle einen unkomplizierten Zugang zu sozialen Angeboten. Erfahrungen zur Umsetzung dieses Konzepts gibt es bereits in Neapel, Saragossa, Barcelona und Bremen (Weitere Informationen: https://sorgende-staedte.org/). Sorgearbeit wird dabei als Hebel für gesellschaftliche Veränderungen betrachtet und als Teil von Wirtschaftspolitik. Dabei geht es z.B. um die Möglichkeit der unentgeltlichen Kinderbetreuung unabhängig von der Erwerbstätigkeit, Arbeitszeitverkürzung, Rekommunalisierung von Krankenhäusern und Projekten gegen die unfreiwillige Vereinsamung („sorgende Nachbarschaft“). Hier gab es Ansätze in der Corona-Zeit, die momentan leider vielerorts nicht weiter gepflegt wurden. Interessant war auch die Vorstellung des in Berlin derzeit laufenden Projektes „Shopping malls zu Sorgezentren“).

Nach der Vorstellung dieses theoretischen Ansatzes und bereits vorhandener Ergebnisse durch Vertreterinnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung (die zur Zeit die Aktivitäten in Deutschland bündelt und auf der oben genannte Homepage vorstellt) berichtete Stadträtin Ute Haupt über schon vorhandene Ansätze und Aktivitäten in Halle – so den Seniorenrat, die Wärmestube, die Freiwilligenagentur (insbesondere den Seniorenbesuchsdienst „Klingelzeichen“), das Bürgerhaus des humanistischen Verbandes, den Bürgerladen, das „Schlaustübchen“, die „Pusteblume“, die „Schöpfkelle“, Angebote der Kirchen und der Selbsthilfekontaktstelle. Wie der darauf folgende Workshop zum Thema „Bildung, Teilhabe und Ehrenamt bis ins hohe Alter“ zeigte, fehlt es teilweise an Kenntnis der jeweils anderen konkreten Angebote und entsprechender Vernetzung.

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Digitalisierung städtischer verwaltungstechnischer Angebote für die Bürger*Innen, die älteren Menschen ohne Computer häufig Schwierigkeiten bereiten; entsprechende Unterstützungsangebote fehlen weitestgehend. Insbesondere fehlen notwendige Gelder für Beratungs- und Unterstützungsleistungen; einiges geschieht im Ehrenamt – teilweise zu Lasten anderer Tätigkeiten. Ebenso wenig liegen häufig die Dokumente und Informationen nicht in leichter Sprache vor. An der Hallenser Universität gibt es dazu eine Fachstelle, mit dieser sollte Kontakt hinsichtlich Unterstützung (durch Praktikanten oder Bitte, bestimmte Dokumente als Unterrichtsmaterial übersetzen zu lassen) aufgenommen werden.

Schwierig für viele Vereine ist es auch, dass bestimmte Projektgelder jährlich neu beantragt werden müssen. Zumindest für die Tätigkeiten, die zu den Pflichtaufgaben einer Kommune gehören, wie z.B. die Schuldnerberatung, sollte angeregt werden, die Laufzeit auf 3 Jahre zu erhöhen. Dies würde auch die städtische Verwaltung entlasten, da diese auch nur noch aller 3 Jahre die Anträge prüfen müsste.

Eine weitere Anregung war, eine Zwischennutzung des ehemaligen Galeria-Kaufhauses für Vereine und deren Angebote durch die Stadtverwaltung prüfen zu lassen. Die günstige Verkehrslage und damit gute Erreichbarkeit (ein immer wieder betonter Punkt für Aktivitäten im Sinne „sorgende Kommune“) sind dafür ein wichtiger Punkt.

Im zweiten Workshop, der zunächst „pflegende Angehörige“ überschieben war, wurde zunächst angeregt, mit dem Begriff „sorgende Angehörige“ zu arbeiten, da Pflege häufig nur mit körperlicher Pflege assoziiert wird, der Ansatz der Veranstaltung bzw. die Zielstellung des Konzeptes jedoch weit darüber hinaus geht.

Weiterhin wurde durch Frau Schumann, Selbsthilfekontaktstelle Pflege Halle-Saalekreis, zunächst erläutert, welche Aufgaben die Kontaktstelle übernimmt (Unterstützung bestehender Selbsthilfegruppen und bei  Neugründung; Beratung und Organisation von Veranstaltungen zum Thema). Sie informierte weiter über Bedarfe von Menschen zum Thema Pflege.

In der Diskussion ging es u.a. darum, wie man die Informationen zu den Themen noch besser an die Pflegenden Angehörigen bringen kann. So entstand der Wunsch, beispielsweise einen Pflege-Aktionstag zu organisieren, an dem verschiedene Akteure wie z.B. Walk of Care, Medinetz[1], Pflegedienste, Krankenhäuser, Kommunalpolitik, aber auch die Organisationen der Migrantenverbände (VEMO Halle, LAMSA), die Drogenberatungsstellen u.a. beteiligt werden können. Dem vorzuschalten wäre ggf. eine Vernetzungsstruktur, um so einen Aktionstag vorzubereiten. Auch über verschiedene Möglichkeiten der Information, z.B. Kampagnen wurde diskutiert. Dazu benötigte man jedoch entsprechende Materialien, die leider nicht ausreichend vorhanden wären bzw. finanziert würden.

Weiterhin ging es darum, wie e s gelingen kann, Familien mit Migrationshintergrund in diese Netzwerke einzubinden. Zurzeit ist es so, dass Pflegende in den Familien betreut werden, sie sich aber kaum an die Kontaktstellen wenden. Es wurde konstatiert, dass sie die bestehenden Angebote zu wenig kennen.

Folgende Ideen sind entstanden:

– Gründung einer „Vernetzungs -AG“

– Kampagnen vorbereiten, die über Pflegeunterstützung etc. informieren können

– Organisation einer Pflegemesse

– Forderung einer Pflegevollversicherung (das ist andiskutiert, müsste aber inhaltlich noch einmal aufbereitet werden)

– Ehrenamtskarte auf Bedürfnisse von Pflegenden ausweiten


[1] Das ist ein Netzwerk von MedizinstudentInnen der Hallenser Universität, die unentgeltlich MigrantInnen bei der medizinischen Versorgung unterstützen (Begleitung bei Arztbesuchen, Übersetzung von Dokumenten etc.)