Ein zentrales Thema des Netzwerks Care Revolution ist, auf die allzu häufig übersehene und abgewertete unentlohnte Care-Arbeit hinzuweisen und die zu unterstützen, die sie tun. Im folgenden Beitrag weist Viola Schubert-Lehnhardt auf Bereiche hin, die noch mehr als andere ausgeklammert werden.
Auf einem Fachtag des Arbeitskreises Frauengesundheit (AKF) in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. am 3.11.23 unter dem Titel „Ungewollte Kinderlosigkeit – vom Mythos der grenzenlosen Machbarkeit und den Schattenseiten der Reproduktionsmedizin“ wurde das Thema „Eizellspende und Leihmutterschaft“ aus juristischer, medizinischer, gesellschaftspolitischer und philosophisch-ethischer Sicht beleuchtet. Dem AKF erschien dieser Fachtag notwendig, weil es in der bisherigen öffentlichen Diskussion überwiegend um die Nöte, Wünsche, Ansprüche und vermeintlichen Rechte von sogenannten Wunscheltern ging und weniger um die anderen zwangsläufig Beteiligten: die Eizellgeberinnen, die austragenden Frauen und die aus den Behandlungen entstehenden oder schon entstandenen Kinder. Noch weniger analysiert wurden in den gegenwärtigen Debatten die wirtschaftlichen Interessen der reproduktionsmedizinischen Zentren, der Agenturen und der schon heute international agierenden medizinischen Konzerne. Deren Interessen sind teilweise durchaus anders gelagert als die der beteiligten Frauen bzw. Paare. Gleichfalls zur Debatte stehen damit die wiederholt auch anderenorts gestellten Fragen nach den Aufgaben des Gesundheitssystems bzw. dem Auftrag der Medizin.
Aus Sicht des Ansatzes bzw. der Ziele von Care Revolution – der Ansatz betont, dass unentlohnte Sorgetätigkeit gesellschaftlich erforderliche Arbeit ist – ist vor allem die Frage danach interessant, ob es sich bei Eizellspende und Leihmutterschaft um „Liebesgaben“ bzw. altruistische „Geschenke“ handelt – oder um „clinical work“ – so der vorgeschlagene juristische Begriff. Schon die Autorinnen des Sammelbandes „Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit“[1] haben sich dazu eindeutig positioniert. Schließlich werden im Ausland[2] nicht nur Verträge geschlossen über die Abgabe von Eizellen oder Kindern, sondern auch Verhaltensvorschriften formuliert, bestimmte Untersuchungen vorgeschrieben etc. Doch nicht nur diese Vorgaben verweisen auf den Arbeitsbegriff – die Einstufung dieser Tätigkeiten als Arbeit würde vor allem eine Verbesserung der Lebenssituation der Frauen bedeuten: u.a. Versicherungsschutz und klar geregelte finanzielle Vergütungen. Warum sollen eigentlich alle anderen (VermittlerInnen, Anwälte, Reproduktionskliniken etc.) an diesem Procedere immense Summen verdienen können, nur die beteiligten Frauen nicht? Reproduktive Techniken finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern innerhalb kapitalistischer Strukturen.[3] Diese Tätigkeiten müssen als Arbeit angesehen werden und in den Care-Diskurs (über unentgeltliche bzw. unterbezahlte weiblich markierte Tätigkeiten) eingebunden werden, um so Ausbeutung zu verhindern und die geleistete Arbeit in ihren Wert zu setzen.
Wie schon bei einer möglichen Anwendung des Begriffs „Selbstbestimmung“[4] ist die Verwendung des Terminus „Altruismus“ umstritten. Insbesondere wird angezweifelt, wie die Rolle der Frauen in diesem Kontext zu sehen ist und ob der Begriff der Freiwilligkeit hier überhaupt angewandt werden kann. Es muss gefragt werden, ob der Begriff des Altruismus in diesem Zusammenhang nicht funktionalisiert wird: „Kind als Geschenk“. Zugrunde liegt dem ein Weiblichkeitsideal, das davon ausgeht, dass Frauen grundsätzlich altruistischer handeln als Männer und bedient veraltete Rollenbilder. Diese Dienste werden teilweise als „Mütterlichkeit“ gerahmt. In diesem Zusammenhang wurde weiterhin darauf verwiesen, dass Deutschland mit der Nichtlegalisierung dieser Techniken das Problem nur ins Ausland verlagere, um sein Mutterschaftsbild („wenn schon Leihmutter, dann aus Liebe“) aufrecht zu erhalten. Es wurde prinzipiell in Frage gestellt, ob in einem derartig kommerzialisierten Markt überhaupt von Altruismus gesprochen werden könne. Ausführlich mit der „Vernutzung“ des Begriffs Selbstbestimmung hat sich u.a. Laura Perler in ihrem Buch „Selektioniertes Leben. Eine feministische Perspektive auf die Eizellspende“ (Münster 2022) auseinandergesetzt. Die Anwendung dieser Technologien kann und muss jedoch als instrumenteller Zugriff auf nichtprivilegierte Frauen für die Wünsche privilegierter Frauen gesehen werden kann.
In der öffentlichen Diskussion über unerfüllten Kinderwunsch wird auf die Möglichkeiten der technischen Medizin fokussiert. Weitere Möglichkeiten, wie andere Formen von Elternschaft, die schon jetzt viele Menschen wünschen und auch leben, sowie die Möglichkeit der Akzeptanz der leiblichen Kinderlosigkeit, müssen künftig sowohl in dieser Debatte als auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit einen selbstverständlichen Raum bekommen und zu einer dem entsprechenden Sozialgesetzgebung führen. Zudem müssen globale Ungerechtigkeiten verstärkt in die Debatten einbezogen werden – so ist es in vielen Ländern für LGBTQ-Personen nicht möglich, eine Familie zu gründen. Unbedingt notwendig ist es jedoch, das Abstammungsrecht an die schon existierenden Realitäten (Inanspruchnahme von Leihmutterschaft und Eizellspende im Ausland) anzupassen.
Selbst nach einer potentiellen Legalisierung der Eizellspende oder Leihmutterschaft in Deutschland ist zu erwarten, dass die damit stimulierte Nachfrage in Deutschland nicht gedeckt werden kann und dass weiterhin Wunscheltern den Weg in andere Länder mit wenig regulierten Rahmenbedingungen wählen, um mögliche Restriktionen, wie z.B. das Verbot der Anonymität zu umgehen.
Die diversen Möglichkeiten zum Ausweichen auf das Ausland lassen sich zwar nicht mehr zurückdrehen, führen uns jedoch zu globalen Fragen der reproduktiven Gerechtigkeit. Dieses Konzept entstand 1994 auf einer pro-choice-Konferenz in Chicago, bei der schwarze Frauen Kritik an der mehrheitlich weiß geprägten feministischen main-stream-Bewegung übten. Auf dieser Veranstaltung stand vor allem das Recht auf Abtreibung im Mittelpunkt bzw. seine Entkriminalisierung. Andere Formen reproduktiver Unterdrückung, von denen vor allem People of Color bzw. Menschen in marginalisierten Gemeinschaften betroffen sind, blieben unberücksichtigt.
Zwölf schwarze Frauen kritisierten diesen einseitigen Blickwinkel und die Vorrangstellung des Rechtes auf Abtreibung – ohne die Notwendigkeit des Kampfes um dieses Recht zu leugnen. Sie entwickelten zunächst drei zentrale Grundsätze:
- Das Recht, sich für Kinder zu entscheiden, und die Formen der Schwangerschaftsversorgung sowie Geburtshilfe selbstbestimmt wählen zu können.
- Das Recht, keine Kinder zu bekommen, und sicheren Zugang zu Verhütungs- und Abtreibungsmöglichkeiten zu haben.
- Das Recht, Kinder in selbstgewählten Umständen aufzuziehen – frei von institutioneller, struktureller und interpersoneller Gewalt sowie unter guten sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Bedingungen.
2012 fügten jüngere Aktivistinnen einen weiteren Grundsatz hinzu:
- Das Menschenrecht auf sexuelle Autonomie, geschlechtliche Selbstbestimmung und sexuelle Lust.
Das Konzept der reproduktiven Gerechtigkeit wurzelt in der Überzeugung, dass systemische Ungleichheit schon immer die Entscheidungen von Menschen in Bezug auf das Kinderkriegen und die Elternschaft geprägt hat, und zwar insbesondere die von benachteiligten Frauen. Es ist ein Instrument zur systematischen Analyse der weißen Vorherrschaft – eingebettet in die vorgefunden sozialen Verhältnisse.
Jedoch nicht nur biologisch als Frauen definierte Menschen erleben reproduktive Unterdrückung, sondern auch trans Männer und Frauen sowie nicht-geschlechtskonforme Menschen.
Das Konzept geht über die Forderung nach individuellen Rechten hinaus und stellt eine Zusammenführung von reproduktiven Rechten und sozialer Gerechtigkeit dar, denn es
- orientiert sich an Intersektionalität,
- verbindet das Lokale mit dem Globalen,
- basiert auf den Prinzipien der Menschenrechte,
- verbindet das Individuum mit seiner Community,
- thematisiert die Verantwortung von Regierungen und Unternehmen,
- bekämpft alle Formen von Bevölkerungskontrolle bzw. Eugenik,
- will gemeinschaftliche Formen der Selbstorganisierung stärken,
- rückt marginalisierte Communitys ins Zentrum der Analyse,
- will Politikveränderung erreichen, denn diese ist notwendig, um reproduktive Gerechtigkeit zu erreichen,
- entwickelt eigene intersektionale Zugänge, und
- gilt für alle Menschen.
Die hier dargestellten Aspekte reproduktiver Gerechtigkeit als Teil der Kämpfe von Care Revolution sind relativ neu und für einige vielleicht auch ungewohnt, sie zeigen jedoch die stetig zunehmende Bedeutung der Auseinandersetzung mit Sorgearbeit in allen ihren Formen und das breite Engagement aller Beteiligten.
[1] Kitchen politics, edition assamblage, Münster 2015
[2] Sowohl Eizellspende als auch Leihmutterschaft sind in Deutschland gesetzlich verboten. Die derzeit laufenden Debatten um eine Aktualisierung des über 30 Jahre alten Embryonenschutzgesetzes enthalten jedoch sehr häufig Forderungen, dies zu legalisieren. Die Regelungen im Ausland sind derzeit unterschiedlich. Einen guten Überblick gibt ein Factsheet des Gunda -Werner-Institutes https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/importedFiles/2022/05/04/Factsheet-Reproduktionstechnologien.pdf
[3] Irina Herb führte dazu aus, dass transnationale Konzerne, „die den Fertilitätsmarkt prägen, ihren Profit zunehmend nicht mehr nur durch die Behandlungen machen, sondern auch durch Finanz-Transaktionen wie z. B. Börsengänge oder Beteiligung an Investmentfonds“ (https://calendar.boell.de/de/event/feminist-lunch (abgerufen am 14.10.2023)
[4] Ursprünglich als Abwehrrecht gegen staatliche Normen der Fortpflanzung entwickelt, wird dieser Begriff heute zunehmend im Sinne von Patientenautonomie als Recht verstanden, eigene Entscheidungen über Zeitpunkt, Art und Weise von Zeugung und Geburt verstanden. Den Befürworter*innen von Eizellspende und Leihmutterschaft geht es dabei vor allem um individuelle Selbstbestimmung über den eigenen Körper, seitens der Kritiker*innen werden vor allem moralische und religiöse Einwände vorgebracht.