Wibke Derboven hat ein Buch über „Elternschaft als Arbeit“ geschrieben. Anna (Care Revolution Hamburg) und Jette (Care Revolution Berlin) haben mit ihr darüber gesprochen.
Frage: Wir möchten mit dir über dein Buch „Elternschaft als Arbeit“ sprechen. Vielleicht kannst Du uns zu Beginn einmal erzählen, wie Du persönlich darauf gekommen bist zu Elternschaft zu forschen? Und was du überhaupt unter Elternschaft verstehst? Denn sicherlich denken viele bei Elternschaft zunächst nur an biologische Mütter und Väter, dabei gibt es ganz verschiedene Arten von Elternschaft. Wen meinst Du, wenn du von Eltern sprichst?
W.D.: Seit ich eigene Kinder habe, vermisse ich von der Gesellschaft den angemessenen Grad an Aufmerksamkeit und Würdigung für die Leistungen von Eltern. Dann hatte ich die Möglichkeit in meiner damaligen Arbeitsgruppe „Arbeit – Gender – Technik“ an der Universität einen Raum zu finden, in dem ich mein Alltagsverständnis um eine wissenschaftliche Perspektive erweitern konnte. Dafür bin ich sehr dankbar.
Und unter Eltern verstehe ich Menschen, die privat, also nicht erwerbsmäßig, Kinder oder Jugendliche bzw. ganz generell Menschen einer jüngeren Generation versorgen. Der Grad der biologischen Verwandtschaft spielt dabei keine Rolle, zentral ist das verantwortungsvolle Kümmern um Personen einer jüngeren Generation.
Frage: Nachdem wir also über Elternschaft gesprochen haben, bleibt der zweite große Baustein deiner Forschung: Elternschaft als (unbezahlte) Arbeit. Warum sprichst du von Elternschaft als Arbeit und was macht diese Art von unbezahlter Care-Arbeit insbesondere aus?
W.D.: Schon sehr lange trage ich ein Alltagsverständnis in mir, welches erstens die Versorgung von Kindern als Arbeit deutet und zweitens die derzeitige Konzentration auf Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft – wenn es um Leistung, Anerkennung, aber auch Gestaltung der Rahmenbedingungen geht – als unangemessen und ungerecht empfindet. Ebenso ist es eine traditionsreiche feministische Perspektive, die sich letztendlich auch gesellschaftlich durchgesetzt hat, unbezahlte Haus- und Sorgetätigkeiten als Arbeit zu bezeichnen. Mit dieser Studie möchte ich diese Perspektive analytisch konsequent umsetzen und die Tätigkeiten von Eltern mit zentralen Dimensionen von Arbeit, wie sie die Arbeitssoziologie beschreibt, anschauen.
Zur Frage, was diese Arbeit ausmacht, möchte ich mit einer Passage aus dem Buch antworten: „Familiale Care-Arbeit für Kinder ist eine auf Einflussnahme zielende, interaktive und arbeitsteilig-kooperative Arbeit, die selbstorganisiert sowie unentlohnt realisiert wird. Die Vorbereitung der Kinder in einer und auf eine meritokratische/n Gesellschaft bestimmt das familiale Care-Handeln für Kinder. Damit sind hohe Anforderungen verbunden, deren Bewältigung ein hohes Maß an persönlicher Stabilität, insbesondere mentaler Kraft und subjektiv empfundener Vorbildlichkeit braucht.“ (S.145)
Frage: Wir leben in einer Gesellschaft die geprägt ist von sozialer Ungleichheit. Dementsprechend sind auch die Bedingungen, unter denen Menschen Elternschaft leben, sehr unterschiedlich. Wie Menschen Elternschaft gestalten können, hängt beispielsweise vom Einkommen und sozialen Status ab. Rassismus und Sexismus prägen Annahmen und Stereotype über Eltern. Menschen mit bestimmten Behinderungen müssen sich gegen Widerstände durchsetzen, um überhaupt Eltern zu werden etc. Welche sozialen Ungleichheiten sind Dir in Deiner Forschung begegnet und wie haben sie sich geäußert? Und gibt es auch Probleme, mit denen alle Eltern gleichermaßen konfrontiert sind?
W.D.: Soziale Ungleichheiten werden in dieser Studie insbesondere dadurch berücksichtigt, dass Eltern mit unterschiedlichen sozio-ökonomischen Lebensbedingungen befragt wurden (orientiert an den Reproduktionsmodellen nach Winker 2015). Die Ergebnisse zeigen, dass Eltern sehr unterschiedliche Arbeitsweisen realisieren, die stark mit den jeweiligen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen und dem jeweiligen Aufmerksamkeitsbedarf des Kindes zusammenhängen. Daraus ergeben sich auch verschiedene Problemlagen, wobei aber alle Eltern in irgendeiner Form einen Mangel erleben: je nach den Rahmenbedingungen leiden sie unter dem Mangel an Zeit, Geld oder mentaler Kraft. Aber auch ein Migrationshintergrund kann zu spezifischen Problemlagen führen. So ist es für Eltern mit einem sichtbaren Migrationshintergrund ganz besonders belastend, öffentlich in Situationen zu kommen, in denen eine unauffällige Selbstpräsentation nicht mehr möglich ist, weil beispielsweise auf ein trotziges Kind eingewirkt werden muss. Sie befürchten und erleben in derartigen Situationen Stigmatisierungen.
Frage: Hast Du auch mit Eltern über dein Buch gesprochen? Wie finden sie es, Elternschaft als Arbeit zu betrachten?
W.D.: Grob gesagt gibt es zwei Pole an Reaktionen. Viele Eltern haben sehr bewegt gesagt: „Endlich sagt einmal jemand, dass es Arbeit ist.“ Ebenso viele Eltern sind aber auch sehr skeptisch gegenüber dem Arbeitsbegriff und haben gesagt: „Ich weigere mich innerlich, mein Tun für meine Kinder als Arbeit zu benennen. Das würde mich nur zusätzlich belasten.“ Einen Ausweg aus diesem Dilemma habe ich gesucht, in dem ich zwischen einem objektivierten und einem gefühlten Arbeitsverständnis unterscheide. So wird gewürdigt, dass es einerseits gesellschaftlich notwendig ist, vieles was Eltern tun als Arbeit zu bezeichnen, dass es aber andererseits genauso notwendig ist, Eltern für ihr subjektives Erleben eine ergänzende Begrifflichkeit an die Seite zu stellen.
Frage: Was mögen Eltern an dieser Arbeit und wo erleben sie Probleme? Welche Rahmenbedingungen, welche Unterstützung und welche Veränderungen wünschen und brauchen Eltern nach Deinen Erkenntnissen, um Elternschaft leisten zu können?
W.D.: Ganz dringend brauchen Eltern Zeit, mentale Kraft, Geld, ko-erziehende Kooperationspartner*innen und ein hohes Maß an persönlicher Stabilität. Auch an dieser Stelle möchte ich mit einem Zitat aus dem Buch antworten: „Insbesondere wegen der hohen Bedeutung der persönlichen Stabilität ist familiale Care-Arbeit für Kinder eine Arbeit der besonderen Art, die besondere gesellschaftliche Aufmerksamkeit, gute gesellschaftliche Rahmenbedingungen und angemessene gesellschaftliche Anerkennung braucht und verdient. Denn persönliche Stabilität ist nicht voraussetzungslos, sondern erfordert ein gutes, an der Gesellschaft teilhabendes Leben und ein wertschätzendes gesellschaftliches Umfeld. (S. 148/9)
Frage: Das Ziel von Care Revolution ist – ganz allgemein gesprochen – eine Gesellschaft, in der Sorgearbeit im Zentrum steht. Die Schritte dahin wollen wir solidarisch mit bezahlt und unbezahlt Care-Arbeitenden sowie Care-Empfänger*innen entwickeln. Siehst Du beim Thema Elternschaft Ansatzpunkte für solche Solidaritäten?
W.D.: In einer leistungsorientierten Gesellschaft ist die Gefahr der Konkurrenz unter Eltern erheblich. Das Wissen, dass nicht alle Menschen einen Platz in der Gesellschaft bekommen, der ein gutes Leben ermöglicht, belastet Eltern sehr und verhindert sicherlich auch ein Auftreten aller Eltern als Solidargemeinschaft. Merkle u.a. (2008) sprechen beispielsweise davon, dass Eltern eine „neue Art von Klassengesellschaft“ befördern, indem sie sehr unterschiedliche Versorgungs- und Erziehungspraktiken realisieren. Momentan ist es sehr verbreitet, sich gegenseitig Versäumnisse vorzuhalten: Schule gegen Eltern und umgekehrt, Eltern gegen Eltern etc. Der hohe Sorgendruck produziert ein ungünstiges Klima der Schuldzuweisung, der Konkurrenz, des Vergleichs und der Überforderung. Ansatzpunkte für Solidarität sehe ich aber dennoch. Der wichtigste Schritt ist zunächst, die Versorgung von Kindern als schwere Arbeit anzuerkennen, die Anforderungen zu benennen, und alle daran Beteiligten zu unterstützen. Um gelassen und kraftvoll Kinder zu versorgen, brauchen Eltern und alle anderen daran beteiligten Personen und Institutionen eine solidarische Gesellschaft, die in ihren Rahmenbedingungen die Angewiesenheit von Menschen auf Menschen stärker berücksichtigt als dies derzeit geschieht.
Vielen Dank für das Interview!
Besprochenes Buch:
- Derboven, Wibke 2019: Elternschaft als Arbeit. Familiales Care-Handeln für Kinder. Eine arbeitssoziologische Analyse. Transcript
Weitere angesprochene Literatur:
- Merkle, Tanja; Wippermann, Carsten; Henry-Huthmacher, Christine; Borchard, Michael (2008): Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten. Stuttgart: Lucius & Lucius.
- Winker, Gabriele (2015): Prekarisierungsprozesse in der sozialen Reproduktionskrise, in: Völker, Susanne/Amacker, Michèle (Hg.): Prekarisierungen. Arbeit, Sorge und Politik, Weinheim, Basel, 75–92.