Care Revolution | Interview: Eine Kampagne stellt sich vor – Bundesweite Gefährdungsanzeige!
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Interview: Eine Kampagne stellt sich vor – Bundesweite Gefährdungsanzeige!

Aktuelles – 04. Oktober 2016 – Debatte
Beitrag in der Reihe Perspektiven. Mit Gefährdungsanzeigen können (berufliche) Pflegende bei Überlastung oder Personalmangel auf personengefährdende Situationen hinweisen. Mit der Aktionskampagne „Bundesweite Gefährdungsanzeige“ möchten beruflich und familiär Pflegende nun gemeinsam ihre Forderungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen, auf ihre schwierige Lage hinweisen und Veränderungen anstoßen. In einem Interview stellt Roger, von „Pflege am Boden - Frankfurt“, die Kampagne für uns vor. Anna (vom Care Revolution Netzwerk): Wir sind heute verabredet, um über Eure aktuell geplante Kampagne zu der schwierigen Situation in der Pflege zu sprechen. Am besten fangen wir einfach mal an: Was ist das für eine Kampagne die ihr plant, worum geht es Euch und auf welchem Planungsstand befindet Ihr Euch aktuell? Noch ist es ja gar nicht wirklich losgegangen. Roger: Ja, wir stellen zurzeit die Flyer fertig. Dafür entwickeln wir konkrete gemeinsame Forderungen. Und in die Flyer haben wir ein Anschreiben an die Politik integriert, das als „bundesweite Gefährdungsanzeige“ dient. Diese Flyer werden wir zeitnah in drei unterschiedliche Varianten veröffentlichen und in Umlauf bringen. Darin werden wir von den schwierigen Situationen in der Krankenhauspflege, der Altenpflege und aus Sicht der pflegenden Angehörigen berichten. Denn diese unterschiedlichen Felder umfasst unsere Kampagne „bundesweite Gefährdungsanzeige“. Mit den drei verschiedenen Bereichen, die wir abdecken, werden durch die unterschiedlichen Kampagnenbeteiligten auch die drei großen gesellschaftlichen Pflegebereiche zusammen gebracht und entgegen der normalen Vorgehensweise geht es uns hier nicht um das Trennende, sondern in erster Linie um die Gemeinsamkeiten bzw. das Verbindende. Es gibt erst einmal unterschiedliche Vorstellungen, welche Re-Finanzierungsmodelle für den jeweiligen Bereich gut wären, aber gleichzeitig gibt es auch eine gemeinsame Grundbasis und die bietet z.B. die Forderung nach mehr Personal. Mehr Personal kommt einerseits den zu Pflegenden und andererseits auch den Angehörigen zu Gute, denn da ist der aktuelle Ist-Stand ja, dass Angehörige ihre zu Pflegenden auch mal in Kurzzeitpflege geben, um bspw. Urlaub zu machen und sich zu erholen. Dann werden sie aber nicht selten von der Kurzzeitpflege im Urlaub angerufen, wenn es Probleme gibt. Und natürlich gibt es mehr Probleme, wenn man weniger Personal und weniger Zeit für die Menschen hat. Das ist ja nicht unbedingt im Sinne des Erfinders, dass man Leute in Obhut gibt um sich im Urlaub zu erholen und sich dann aber dann doch wieder kümmern muss. Das wäre so ein Aspekt. Aber auch Patientensicherheit ist ein großes Thema, da gab es z.B. eine Studie die ergeben hat, dass eine Pflegekraft für bis zu 52 Bewohner zuständig ist und auch das ist keine Situation, die menschenwürdige und sichere Pflege unkompliziert möglich macht. Zusammenfassend war und ist es schon eine Herausforderung miteinander aktiv zu werden, aber wir glauben fest daran, dass es uns gelingt „die Einheit in der Vielfalt und die Vielfalt in der Einheit“ zu entwickeln und dies öffentlich zu machen. Dabei ist uns auch wichtig, nicht nur den klassischen gewerkschaftlichen Bereich anzusprechen, also innerbetrieblich zu kämpfen, sondern auch das Außerbetriebliche aufzugreifen. Ihr wollt also unterschiedliche Perspektiven mit einbeziehen. Wer ist denn bei Euch mit im Boot, also von wem geht diese Kampagne aus und wer trägt sie aktuell? Zum jetzigen Zeitpunkt fest mit drin sind das bundesweite Personenbündnis „Pflege am Boden“, die Bremer Initiative „Pflege steht auf“, dazu die Siegener Gruppe „Wa(h)re Gesundheit - Da hilft nur noch beten?“, die regelmäßig in der Siegener Martini Kirche einen Austausch- und Schutzraum für das Thema bietet, und „WIR! – Vereinigung pflegender Angehöriger in Deutschland e.V.“. Zu guter Letzt ist inzwischen auch noch die „Landespflegekammer Rheinland-Pfalz“ aktiv dabei. Da es uns um die Sache geht und nicht um Befindlichkeiten, haben wir im Vorfeld zahlreiche Pflegegruppierungen über die Aktionskampagne informiert (auch Berufsverbände, Gewerkschaften und Selbsthilfeverbände) und können selbstbewusst sagen: die Aktionskampagne „bundesweite Gefährdungsanzeige“ wurde im Vorfeld aktiv beworben. Mit einem christlich geprägten Verband sind wir noch im aussichtsreichen Austausch und erwarten in Kürze noch die verbindlichen Rückmeldungen vom Vorstandsbeschluss und in der Zwischenzeit hat sich im Hintergrund noch der Verein „Pflege in Bewegung“ gegründet – der ebenfalls die Kampagne flankieren wird. So ist aus der verrückten Idee inzwischen tatsächlich ein breites Bündnis von fünf bis sieben Pflegegruppen geworden, die aktiv dahinterstehen! Und neben den besagten Flyern werden aktuell sowohl eine Homepage als auch eine Facebook-Seite vorbereitet. Es wird dann über die Gruppe der Initiatoren hinaus auf der Homepage den Bereich ‚Kooperationspartner‘ geben, was dann für das Care Revolution Netzwerk oder andere interessierte Gruppen, die sagen wir finden die Idee gut und möchten das gern unterstützen, eine Möglichkeit wäre, die Kampagne aktiv und nach außen sichtbar zu unterstützen. Uns gibt das natürlich die Möglichkeit ein noch breiteres Bündnis aufzubauen. Und welche Sachen oder Aktionen sind da gegenwärtig in der Planung? Also was habt ihr in der nächsten Zeit gemeinsam vor? Ja, also vielleicht fange ich einmal von hinten an. Die Kampagne wird mit einem Aktionstag am 12. Mai 2017 in Berlin ihren Abschluss finden. An diesem Tag werden wir zum einen die gesammelten Gefährdungsanzeigen an die Politik übergeben und ich kann dazu schon sagen, dass es in Zusammenarbeit mit dem Care Slam aus Berlin eine Abschlussveranstaltung geben wird. Der Startschuss für die Kampagne wird am kommenden Wochenende bei der Streikkonferenz in Frankfurt erfolgen, wo wir das erste Mal mit der Kampagne öffentlich in Erscheinung treten werden und darüber informieren.Weiter geht es dann über die verschiedenen Kanäle wie Homepage, Facebook und die verschiedenen beteiligten Gruppen, die ja wiederum lokal jeweils andere Partner haben. Ein nächster Zwischenstopp wird definitiv das Care Revolution Netzwerktreffen im Oktober in Hamburg sein, wo wir ebenfalls informieren werden. Im November haben wir dann in Frankfurt im Haus am Dom mit „UmCare“ einen „sozialpolitischen Thementag“. Hier sind wir u.a. mit der Care Revolution Netzwerkgruppe Rhein-Main vertreten. Und im nächsten Jahr wollen und werden wir dann im März auf jeden Fall beim deutschen Pflegetag präsent sein und weiter für die Kampagne werben. Das sind so die größeren und festen Termine wo wir als Aktionskampagne auf jeden Fall sichtbar werden. Welche weiteren Zwischenstationen wir bis Mai finden werden, das entwickelt sich gerade noch konkret, aber Ideen sind reichlich vorhanden. An wen richtet ihr Euch eigentlich mit der Kampagne? Ich meine, steht eher die breite Öffentlichkeit oder eher die Gesetzgebung im Fokus? Oder wollt ihr überhaupt erst mal die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es da verbindende Problemlagen gibt? Gut, dass Du das ansprichst, es ist nämlich wirklich vielschichtig, denn im Grunde genommen wollen wir alles miteinander verbinden. Zum einen ist es so, dass die ganzen Gesetze kamen: Pflegestärkungsgesetz 1, Pflegestärkungsgesetz 2 und jetzt steht 3 kurz bevor und dies wiederum sieht weitreichende Umverteilungen und Veränderungen vor, die nicht unbedingt die tatsächlichen und aktuell dringendsten Probleme aktiv angehen. Ein Beispiel ist, dass auch festgelegt wurde, dass man sich bis 2020 einigen darf, welche Personalbemessungsinstrumente sinnvoll sein könnten, um dann über mehr Personalstellen nachzudenken. Hiermit hat der Bund erfolgreich die Verantwortung an die Länder abgegeben Aber da wir jetzt das Jahr 2016 haben bleibt die Frage, was denn bis dahin passieren kann und soll? Wir brauchen nämlich jetzt schon mehr Personal und nicht erst 2020! Somit ist das erste Anliegen, den Gesetzgeber in die Pflicht zu nehmen und das geht eben nur durch bundesweite Aktionen und Bündnisse. Darüber hinaus geht es uns aber auch darum, in der Öffentlichkeit die Gesellschaft über die schwierigen Zustände zu informieren und dabei gleichzeitig zu betonen, dass Pflege ein gesellschaftlicher Wert ist. Hier dürfen –nein, müssen – wir uns die Fragen stellen: Erstens, was ist gute Pflege? Und zweitens, was ist uns gute Pflege wert? Denn unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist gute Pflege grundsätzlich möglich, aber nur mit Selbstaufopferung und dann ist es noch so, dass diese nicht belohnt wird. Finanziell belohnt wird derzeit eher die schlechte Pflege – d.h. wenn ich das Personal mit fraglichen Arbeitszeitmodellen beschäftige, in fraglichen Lohnverhältnissen einstelle und den Zeitdruck erhöhe, dann bin ich produktiv und fahre Gewinne ein. Dabei ist es egal, ob ich ein kleiner privater Pflegedienst bin oder ein großer Konzern. Hierunter leiden sowohl die zu Pflegenden als auch die Pflegenden, beruflich wie familiär, denn sämtliche Einsparungen gehen letztlich zu Lasten von Sicherheit, Gesundheit und Qualität. Eine unserer Hauptschwierigkeiten ist gegenwärtig auch die beruflich Pflegenden zu mobilisieren, weil die sich zunehmend zwischen 'Cool out' und 'Burn out' bewegen und dazwischen liegt oft noch die Mobbing-Thematik, da jemand der auf Missstände aufmerksam macht oft als Nestbeschmutzer gesehen wird. Beruflich Pflegende befinden sich also in einem Spannungsfeld zwischen absoluter Abstumpfung a la „ich verrichte meinen Dienst jeden Tag – Hauptsache er geht rum“ und zwischen ausgebrannt sein, weil man sich zu sehr für die Bedürftigen und das System aufgeopfert hat. Die pflegenden Angehörigen sind aber auch ein enorm wichtiger Part, denn das sind sehr, sehr viele in diesem Land – im Grunde sagt man gerne sie sind „der größte Pflegedienst Deutschlands“. Hier sind geschätzt 2,4-4 Millionen Menschen aktiv beteiligt, darunter überwiegend Frauen, aber auch zunehmend Kinder und Jugendliche. Und der Dank für dieses Engagement ist zunehmend Altersarmut – das werden vermutlich auch die aktuellen Bestrebungen der Gesetzgebung nicht so schnell umkehren, obwohl es hier Signale in die richtige Richtung gibt. Die beruflich Pflegenden, mit ca. 1-1,5 Millionen Menschen, und die pflegenden Angehörigen gemeinsam aus der isolierten Anonymität rauszuholen und auch mit auf die Straße zu bringen, das ist ein weiteres wichtiges Anliegen. Gemeinsamkeit stärken und Solidarität entwickeln - um deutlich zu machen, dass wir alle im selben Boot sitzen. Denn von der Wiege bis zur Bahre: Pflege kann jeden treffen! Ja, super, das ist wirklich ein gutes Anliegen. Das ist ja letztendlich auch das was Care Revolution immer so im Kopf hat. Also zu schauen, dass diese unterschiedlichen Ebenen nicht gegeneinander ausgespielt werden, also beispielsweise die beruflich Pflegenden und die familiären sich wechselseitig ihre Arbeit nicht anerkennen. Sondern stattdessen gemeinsam zu versuchen an den schlechten Rahmenbedingungen etwas zu verändern und zusammen auf die Straße zu gehen. Die bisherigen Spaltungen rückgängig machen wird schlecht klappen, aber gegenseitig um Verständnis füreinander zu werben und gleichzeitig zu sagen: „wir sitzen im selben Boot“, das dürfte möglich sein und dafür setzen wir uns ein. Dann geht es in einem weiteren Schritt eben auch darum, sich nicht nur im Pflegebereich einzusetzen, sondern auch darüber hinaus. Und von daher ist die Kampagne, denke ich, auch ein Stück weit ein Vorgriff auf einen perspektivischen Schritt der dann als nächstes kommen könnte, dass man eben die anderen Berufsgruppen und Sorgenden mit reinbringt. Das ist ja auch das Anliegen von Care Revolution. Also das wäre denke ich der nächste Schritt, mit einer größeren Kampagne die ganzen Care-Bereiche gemeinsam mal ein bisschen schlagkräftiger werden zu lassen. Denn im Krankenhaus geht es ja im Prinzip auch schon wieder weiter mit der Spaltung. Die Berliner Charité hat für mehr Personal gekämpft und einen Tarifvertrag ausgehandelt und der wurde auch gefeiert als Meilenstein in der Pflege. Gleichzeitig müssen jetzt die Tochtergesellschaften irgendwie aktiv werden, weil man in diesen anderen Bereichen der Krankenhäuser versucht, das einzusparen und im Zweifelsfall dann argumentieren könnte, ja die Pflege kriegt mehr Geld, deswegen kriegt ihr jetzt weniger. Deswegen ist Solidarität da sehr wichtig. Ja und dann haben wir ja auch mal darüber gesprochen, dass sich diese Ökonomisierung des sozialen Bereichs, nicht auf Deutschland beschränkt. Und das es insofern auch darum gehen müsste das nicht nur auf Deutschland beschränkt, sondern auch auf einer europäischen oder internationalen Ebene zu denken und anzugehen. Ja, klar. Es gibt ja zum Beispiel auch in der Schweiz, in Österreich oder in den USA Bewegung in diesem Bereich. Und Polen und die anderen osteuropäischen Länder werden auch noch Schwierigkeiten haben, denn da gibt es zwar viele Fachkräfte, aber davon wandern gleichzeitig viele ab zu uns. Und diese arbeiten dann hier im „illegalen“, häuslichen Bereich in fragwürdigen Modellen. Das sind ganz viele Wechselwirkungen über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Aber wenn wir nicht vor Ort anfangen, dann wird uns das international noch weniger gelingen. Spannend wäre es natürlich schon z.B. die welche Erfahrungen aus den USA mit ihrer starken Lobby von Angehörigen und in aus Deutschland mit den Gewerkschaften auszutauschen. Zurück zu Eurer Aktionskampagne: Unterstützen kann man Euch, indem man die Gefährdungsanzeigen unterschreibt, Kooperationspartner wird oder am 12. Mai 2017 nach Berlin kommt. Gibt es denn darüber hinaus noch Möglichkeiten, wie man Euch unterstützen kann? Ja, klar! Jetzt schon Urlaub beantragen! Denn für den 12. Mai wünschen wir uns von der Basis aus ganz, ganz viele Menschen auf der Straße, um zu signalisieren, dass die Wende im Pflegebereich eingeläutet werden muss. Konkret geplant ist eben ein Abschluss mit Care Slam und dass wir an diesem Tag gesammelte Briefe an die Politik übergeben. Dafür sollen auch Busse aus anderen Bundesländern nach Berlin organisiert werden. Aber das ist aktuell noch in der Planung. Darüber hinaus gibt es aber natürlich die Möglichkeit unsere Kampagne über die virtuellen Kanäle zu verteilen und zu unterstützen. Auf der Homepage wird es einen Download-Bereich geben, wo man sich die Kampagnenmaterialien und die verschiedenen Flyer runterladen kann. Zusätzlich werden noch Aufkleber kommen, die Sichtbarkeit herstellen sollen. Und natürlich können unterschiedliche Zwischenaktionen gemacht werden. Als Kooperationspartner sind alle aufgerufen, nicht nur stille Follower zu sein, sondern auch eigene Ideen mit einzubringen und vielleicht lokal Aktionen zu initiieren. Wir wünschen uns viele bunte und kreative Aktionen und freuen uns über viele Leute, die sich noch einbringen möchten! Vielen Dank, Roger, für dieses motivierende Interview und ich wünsche Euch noch viel Erfolg mit Eurer Kampagne!
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