Care Revolution | Kampagne ‚100.000 Mütter vor dem Brandenburger Tor‘ – Ein Interview mit zwei Initiatorinnen
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Kampagne ‚100.000 Mütter vor dem Brandenburger Tor‘ – Ein Interview mit zwei Initiatorinnen

Aktuelles – 24. April 2025

Der Muttertag dient vorrangig der Förderung des Blumen- und Pralinenverkaufs. Zugleich wird an diesem Tag das Bild der Mutter überhöht und in verkitschten Farben ausgestellt. Gleichzeitig werden an diesem und den restlichen 364 Tagen des Jahres Menschen mit Sorgeverantwortung alleine gelassen und überlastet. Angesichts einer Gesellschaft, in der die Sorge für Kinder und auch für pflegebedürftige Angehörige immer noch ganz überwiegend Frauen* betrifft, organisieren verschiedene Organisationen, unter anderem Müttergenesungswerk, Evangelischer Fachverband für Frauengesundheit, Arbeitskreis Frauengesundheit und die Initiative MütterMachtPolitik eine große Demonstration und Kundgebung am 10.Mai: 100.000 Mütter vor dem Brandenburger Tor!

In der Folge findet ihr zunächst Mitmach- und Unterstützungsmöglichkeiten und im Anschluss ein Gespräch mit zwei Organisatorinnen, Antje Krause und Rebekka Rupprecht. Das Gespräch führten Carola Eckstein und Matthias Neumann.

Informationen zur Kundgebung: https://hunderttausendmuetter.de/demoroute/

So könnt ihr schon zuvor unterstützen:

1. AUF DER WEBSITE

* Textlänge: 600–1.000 Zeichen
* Überschrift: Max. 80 Zeichen (erscheint nur auf der Detailseite)
* Wichtig: Die ersten 300 Zeichen des Textes werden in der Vorschau
angezeigt – starte mit einer spannenden Einleitung!
* Bild: Quadratisch (1080 x 1080 Pixel, JPEG/PNG, max. 2 MB),
erscheint am Ende kreisförmig

Trage dich hier ein: Unterstützerin werden www.hunderttausendmuetter.de

2. TAGEBUCHEINTRAG VERFASSEN

* Textlänge: Bis zu 3.000 Zeichen
* Überschrift: 40–80 Zeichen
* Hinweis: Die Überschrift wird nicht in der Vorschau angezeigt –
die ersten Sätze deines Textes sind entscheidend!
Optional: Passendes Bild mitschicken oder wir gestalten es für
dich.

Weitere Infos und Beispiele: Tagebuch-Einträge https://hunderttausendmuetter.de/tagebuch/

3. INSTAGRAM-BEITRAG

* Textlänge: Max. 2.200 Zeichen (ideal 100–150 Zeichen)
* Bild: Quadratisch oder Hochformat (1080 x 1350 Pixel)
* Ablauf: Du schickst uns Text und Bildmaterial, wir erstellen den
Beitrag und verlinken dich gerne – auch als Collab-Partner.

Unser Instagram-Profil: Instagram @hunderttausend_muetter

4. INSTAGRAM-REEL

* Länge: Optimal 7–30 Sekunden (max. 90 Sekunden)
* Format: Hochformat (9:16)
* Ablauf: Sende uns ein Video, wir schneiden es passend für die
Kampagne.

Und hier das Interview:

Carola: Schön, dass ihr da seid! Vielleicht mögt ihr euch zu Beginn und auch die Kampagne kurz vorstellen?

Antje Krause: Ganz herzlichen Dank für die Einladung zum Interview. Wir als Kampagne haben uns sehr gefreut, denn wir kennen Care Revolution natürlich und schätzen eure Arbeit sehr.

Ich bin Antje Krause. Ich arbeite seit 25 Jahren in der Müttergenesung – zunächst als Sozialpädagogin und Therapeutin, seit 14 Jahren auch als Geschäftsführerin der Klinik Haus Daheim, einer Vorsorge- und Reha-Klinik für Mütter. Davor war ich im Frauenhaus tätig.

Rebekka Rupprecht: Mein Name ist Rebekka Rupprecht. Ich bin Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks – einer gemeinnützigen Stiftung, die dieses Jahr 75 Jahre alt wird. Das Müttergenesungswerk setzt sich von Anfang an für die Gesundheit von Müttern ein, seit 2013 auch für Väter und pflegende Angehörige. Care-Arbeit ist für uns also ein zentrales Thema, vor allem mit Blick darauf, dabei gesund zu bleiben.

Antje: Zur Kampagne gehört folgende Geschichte: Im Jahr 2023 haben wir über den Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF) einen Fachtag zur Müttergesundheit veranstaltet – aus Frustration über die mangelnde Aufmerksamkeit für dieses Thema. Am Ende mussten wir feststellen: Es bewegt sich viel zu wenig, der Bedarf ist riesig. Das war im Herbst, als die Treckerfahrer Berlin lahmgelegt haben. Wir haben gesehen, wie viel Raum sich (meist) Männer für das Thema Dieselsteuern nehmen konnten. Und da fragte unsere Kollegin Dagmar Hertle: "Ist es nicht möglich, 100.000 Mütter vor dem Brandenburger Tor zu versammeln und für Müttergesundheit einzustehen?"

Dieser Satz war wie ein zündender Funke. Immer wenn wir die Idee erwähnten, bekamen wir großartige Rückmeldungen: „Ja, das wäre es!“

Schnell war klar: Das kann keine Privatinitiative sein. Der Evangelische Fachverband für Frauengesundheit (EVA) hat sich daraufhin entschieden, sein 55-jähriges Jubiläum 2025 zum Anlass zu nehmen, um die Kampagne zu initiieren. Und sehr schnell kamen weitere Mitstreiterinnen dazu: der AKF, das Müttergenesungswerk und die Initiative „Mütter Macht Politik“ von Sarah Zöllner. Uns war von Anfang an wichtig: Es geht nicht um unsere Organisationen – wir wollen das Thema nach vorne bringen.

Dann wurde deutlich: Es geht nicht nur um Gesundheit – wenn wir Müttergesundheit verbessern wollen, müssen wir an die Strukturen ran. Deshalb haben wir das Thema Gleichstellung mit aufgenommen. Wir wollen nicht mehr nur reden und fordern – wir wollen die Vision feiern: Jetzt ist es soweit. Wir warten nicht mehr. Wir fordern die absolut gleichberechtigte Aufteilung von Ressourcen und Care-Arbeit. Und genau daraus ist unser Kampagnenkonzept entstanden.

Matthias: Ihr fordert die konsequente Einbeziehung von Müttern in gesellschaftsrelevante Entscheidungen. Wie soll das konkret aussehen? Sollen Expert*innen aus Mütterperspektive sprechen oder wollt ihr den Müttern selbst Raum geben, für sich zu sprechen?

Rebekka: Genau darum geht es: Müttern den Raum und die Möglichkeit zu geben, für sich selbst zu sprechen und ihre Anliegen und Perspektiven einzubringen. Das entspricht übrigens auch dem, was wir in den Menschenrechtskonventionen immer wieder finden: Teilhabe derjenigen, die direkt betroffen sind. Natürlich brauchen wir Studien und eine übergeordnete Perspektive – aber eben auch die Stimmen derjenigen, die mittendrin sind. Auf allen Ebenen! Kommunalpolitik ist ein gutes Beispiel: Dort sieht man, wie unterschiedlich Räume des Zusammenlebens aussehen können und das Miteinander gestaltet wird, je nachdem, welche Perspektiven einbezogen werden. Stadtplanung, Spielplätze, Kita-Plätze, Plätze in der Pflege – all das hängt mit Perspektiven zusammen.

Auch Gender Budgeting spielt eine Rolle: Im Öffentlichen Raum werden zum Beispiel oft eher Sportangebote für Jungen als für Mädchen gefördert – das führt dazu, dass Familien das privat ausgleichen müssen. Es gibt also ganz viele Stellen, wo Mütter selbst die Expertinnen für Themen sind und am besten mitreden können. Und genau da brauchen sie den Raum. Oft fehlt ihnen aber die Zeit und Energie, sich einzubringen, weil Mütter die Hauptlast der Sorgearbeit leisten und im Zweifel nicht nur ihre Kinder versorgen, beruflich tätig sind, sondern gleichzeitig auch Angehörige pflegen. Sie sind so eingebunden, dass ihnen schlicht oft die zeitlichen Ressourcen fehlen, um sich zusätzlich zu engagieren. 

Antje: Ich ergänze das gern mit einem konkreten Beispiel. Nehmen wir die Hitze: Frauen sind davon stärker betroffen, müssen mehr trinken – aber es gibt kaum öffentliche Toiletten. Für Männer gibt es kostenlose Pissoirs, für Frauen kostenpflichtige Toiletten. Wo können sie sich die Hände waschen, Hygiene betreiben, Kinder wickeln? Wo gibt es Schatten, Sitzmöglichkeiten, sichere Verkehrswege? Es braucht eine diverse Besetzung von Gremien, in denen Menschen mit Fürsorgeverantwortung sitzen – Mütter, Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit Behinderung. Mütter machen 80 Prozent der Frauen aus – wenn wir hier Veränderung bewirken, profitieren alle, auch Väter. Es geht um gemeinsame Verantwortung.

Matthias:  Zum einen fordert ihr, das Wissen und die erfahrung von Müttern zu nutzen: Mütter stehen im Zentrum dieser Anstrengungen und deswegen sind sie es, die am meisten dazu sagen können. Zum anderen sagt ihr: Wir wollen weg davon, dass diese Verantwortung Müttern aufgeladen wird, und sagt, dass ihr nicht nur Mütter ansprecht, sondern alle Menschen mit Sorgeverantwortung.

Rebekka: Ja. Wir denken von denjenigen aus, die Sorgearbeit leisten. Deren Perspektive muss sichtbar werden – sie gehört in die gesellschaftliche und politische Debatte. Diese Menschen leisten enorm viel – meist unbezahlt – und unsere Gesellschaft würde ohne sie kollabieren. Wir beginnen bei den Müttern, also bei der großen Gruppe, die diese Care-Verantwortung trägt, schließen aber niemanden aus. Wir wollen inklusiv denken. Es braucht ein bisschen „Scheppern“, damit das Thema auf die Agenda kommt und etwas passiert. Genau das wollen wir mit der Forderung nach einem nationalen Gesundheitsziel erreichen, dass man sich wirklich von Beginn an damit auseinandersetzt.

Carola: Es geht also auch darum, Verantwortung umzuverteilen. Denn gesellschaftlich wird immer noch erwartet, dass Mütter einspringen – ob für Kinder oder Pflege.

Antje: Absolut. Während der Corona-Krise wurde deutlich, wie still viele Mütter waren. Sie haben so viel ausgehalten, das wurde auch bei uns in den Kliniken sichtbar. Gerade geflüchtete Mütter tragen eine unglaubliche Last. Es ist total erschütternd, was sie erzählen, was sie aushalten, wie viel Druck sie tragen. Die Situation von Müttern muss aus der Unsichtbarkeit heraus. Dabei geht es nicht nur um Familie, sondern auch um Beruf. Wenn ein Kind krank ist, fällt meist die Mutter aus – mit all den Konsequenzen im Job, bis hin zur Angst, ihn zu verlieren. Es braucht eine Haltung, die sagt: Natürlich fällt man mit kleinen Kindern auch mal aus. Und es braucht eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für Kinder.

Carola: In anderen Ländern wird das besser geregelt. Bei uns bleiben meist die Mütter daheim, weil sie oft weniger verdienen.

Antje: Ja, der geringere Verdienst ist Teil des Problems. Frauen haben oft bis zu 40 Prozent weniger Rentenansprüche. Und das wird stillschweigend akzeptiert – so nach dem Motto: „Du wolltest doch Kinder, sieh zu, wie du klarkommst.“

Matthias: Es braucht also eine Kultur des Widerspruchs und Widerstands?

Rebekka: Ja – und das Wissen um die eigenen Rechte. Wir haben eine große Vielfalt an Menschen in unserem Land, auch unter denjenigen, die Sorgearbeit leisten. Und sie haben unterschiedliche Ressourcen – sei es Bildung, Einkommen, Zeit oder Energie. Das müssen wir immer berücksichtigen. Wir müssen Chancengleichheit schaffen. Das heißt, wir müssen immer wieder gucken: Wo müssen wir jemanden in die Lage versetzen, bestimmte Rechte, die vielleicht schon da sind, überhaupt in gleicher Weise nutzen zu können, wie eine andere Person, die vielleicht leichteren Zugang zu gewissen Informationen hat und z. B. eine:n Anwält:in finanzieren kann. Das sind auch wichtige Grundbedingungen, damit man sich im Zweifelsfall auch selbstbewusst vor den eigenen Chef oder die Kolleg:innen stellen und Grenzen setzen kann. Das kann man aber nur, mit Rückhalt, Informationen, einem guten Netzwerk und im besten Fall auch einer Kultur vor Ort, die das fördert. Und mit entsprechenden Chefinnen und Chefs – vor allem viel mehr Chefinnen, die wahrscheinlich ein besseres Verständnis für Care-Verantwortung haben.

Carola: Gibt es im Gesundheitssystem Probleme, die speziell Mütter betreffen, jenseits der Geburtshilfe?

Antje: Ja – Mütter tragen eine große Last und das führt zu Erschöpfung und Erkrankung. Wenn wir gesellschaftliche Probleme individualisieren, laufen wir Gefahr, dass Krankheiten chronisch werden. Mütter brauchen das Gefühl, gestalten zu können, teilzuhaben. Und es gibt Mütter – besonders geflüchtete –, die gar keinen Zugang zum System bekommen, obwohl sie ein Recht darauf haben. Rassismus, Diskriminierung, Angst vor Abschiebung: Das führt dazu, dass sie keine Hilfe suchen.

Carola: Das heißt, Mütter werden überfordert, allein gelassen, teils idealisiert und dadurch noch mehr überfordert.

Antje: … und dann wird ihnen die Überlastung als individuelles Versagen ausgelegt.

Carola: Es ist ein gesellschaftliches Problem, das sich im Gesundheitssystem individuell niederschlägt.

Antje: Genau. Nehmen wir Partnerschaftsgewalt: Mütter werden dadurch krank. In der Therapie wird es oft auf die individuelle Ebene reduziert, ohne das gesellschaftliche Umfeld mitzudenken. Frauenfeindlichkeit spielt dabei eine große Rolle.

Rebekka: Muttersein beginnt nicht erst mit der Geburt, sondern viel früher. Inwieweit wird meine Persönlichkeit, mein Körper, mein Sein in der Gesellschaft berücksichtigt? Es gibt viele Stellen, wo wir sehen, dass das immer noch nicht ausreichend geschieht. Vielleicht spüren wir im Alltag nicht in jeder Situation, dass wir nicht alle gleichberechtigt sind. Aber es gibt eben Lebensphasen und Entscheidungspunkte, wo sich sehr schnell etwas verändert. In der Partnerschaft sehen wir das. Die Beziehung fängt vielleicht noch relativ 50/50 an, aber in dem Moment, wo eine Familie gegründet wird, entsteht ein extremes Ungleichgewicht. Dazu kommen Faktoren wie: Frauen verdienen weniger, verlieren ihre Unabhängigkeit, werden in die Care-Arbeit gedrängt – mit gesundheitlichen Folgen. Wir wissen, dass die Gesundheit von Müttern prekärer ist als die von Frauen, die keine Mütter sind. Wenn wir z. B. zu Hause bleiben und keinen oder viel weniger Austausch haben, weil wir uns auf die Sorgearbeit konzentrieren müssen, dann ist das auf Dauer nicht gesund.

In dem Moment, wo eine Familie gegründet wird, kippt oft das Gleichgewicht. Frauen verdienen weniger, verlieren Unabhängigkeit, werden auf die Care-Arbeit reduziert – mit gesundheitlichen Folgen. Isolation ist auf Dauer nicht gesund.

Carola: Dieses Problem mit der körperlichen Selbstbestimmung habe ich als massiv erlebt. Die endet irgenwie in dem Moment, wo man schwanger ist. Dann kriegt man von allen erklärt, was man nun zu tun und zu lassen hat. Und wenn man sich anders entscheidet, bekommt man Druck.

Matthias: Zum Schluss: Ihr habt sehr eindrücklich dargelegt, wie groß und wie grundlegend die Probleme sind. Das wird der 10.Mai vorm Brandenburger Tor noch nicht ändern. Was erhofftihr euch von der Aktion und habt ihr eine Idee, wie dann weitergeht?

Antje: Wir hoffen auf viele Menschen, die ein Zeichen setzen: Wir akzeptieren diese Missstände nicht mehr – nicht beim Wohnen, nicht bei der Geburt, nicht bei der Erschöpfung. Wir wollen ein Gefühl der Solidarität schaffen, neue Geschichten erzählen, eine Vision lebendig werden lassen. Es geht nicht darum, Forderungen herauszuschreien, sondern sich zu zeigen: Wir sind viele. Die Hälfte der Gesellschaft sind Frauen, 80 Prozent davon Mütter – wir sind die Mehrheit.

Rebekka: Wir laden alle ein, diese Vision mit uns zu teilen. Es ist kein exklusives Thema – im Gegenteil. Der 10. Mai ist der Anfang von einer Reise, auf die wir uns machen, mit einer sehr optimistischen Vision, die wir haben, aber auch dem Realitätssinn, jeden einzelnen Schritt auch konsequent zu gehen, damit sich etwas verbessert. Wir haben schon viele Verbündete und wollen gemeinsam weitergehen – Schritt für Schritt.

Und jetzt: Tragt euch auf unserer Website als Unterstützer:innen ein, teilt das Demodatum, macht mit. Wir brauchen Reichweite, wir brauchen euch!

Matthias: Vielen Dank – hoffentlich sehen wir uns am 10. Mai.

 

 

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