Seit einigen Jahren veranstalten wir – Nicos Farm e.V. – das „Lichtermeer für Deutschlands behinderte Kinder“. Vor acht Jahren haben wir es erstmalig in Hamburg durchgeführt und feiern es in jedem Jahr, jeweils am letzten Freitag im Oktober. Vorher besuchen wir Kitas und Grundschulen; dort basteln die Kinder dann Laternen, die sie anschließend auf dem Rathausmarkt an Kinder mit Behinderungen übergeben.
„Ein Licht von Kind zu Kind“.
Gemeinsam mit der Feuerwehr, einer Sambakapelle, einem Musikzug und unserem Clown Charly wandern wir dann in einem Laternen- und Fackelzug rund um die Binnenalster, die wir in ein Lichtermeer verwandeln. Zum Schluss gibt es ein wunderschönes Feuerwerk, mitten auf der Binnenalster FÜR behinderte Kinder. Klar, dass die anderen Kinder auch zugucken dürfen.
Die Veranstaltung hat derart viel Beifall bekommen, so dass dieses Lichtermeer inzwischen in über einem dutzend Städte in Deutschland zur selben Zeit durchgeführt wird. Mehrere tausend Kinder ziehen so ein leuchtendes Band voll Menschlichkeit und Wärme von Sylt bis nach Würzburg. In Dortmund übernahm sogar der Bürgermeister die Schirmherrschaft, in Lüneburg wird mit Buden und Infoständen auf dem Marktplatz gefeiert – um nur einige Beispiele zu nennen. In Hamburg gestaltet sich unsere Aktion allerdings hanseatisch etwas kühler
Nachdem wir in den ersten Jahren dieses bundesweite Inklusionsfest in Hamburg problemlos durchführen konnten, sind leider, seit drei Jahren, dunkle Wolken aufgezogen. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte, das Polizeirevier PK14 und Nicos Farm sind bedauerlicherweise nicht ziemlich beste Freunde.
Wir treffen uns mit den Teilnehmenden vor Beginn auf dem Hamburger Rathausmarkt und stellen dort am Rande zum Alsterfleet einen (Tapezier-)Tisch auf, um die Laternen und Fackeln dort auszugeben. Die von den Kindern gebastelten Laternen hängen dann dekorativ an einer kleiner Leine. Und selbstverständlich, wir sind ja gute Bürger_innen, stellen wir dafür regelmäßig einen Antrag zur Sondergenehmigung nach dem Wegegesetz.
Vor drei Jahren hieß es plötzlich, dass der Senat genau an der Stelle und an dem Tag einen Empfang geben wolle.
Das machen die schon mal im Winter. Draußen, im Dunkeln. Macht nix, sagten wir, wir wollen nicht stören und können uns auch ein paar Meter daneben treffen. Nun durften wir plötzlich doch unseren Stand aufbauen. Das fanden wir sehr nett vom Senat.
Dafür maulte aber nun die Polizei ein wenig und dachte laut darüber nach, den Fahrern der Feuerwehrfahrzeuge einen Bußgeldbescheid zukommen zu lassen,weil sie das Blaulicht verbotswidrig eingesetzt hatten, um unseren Zug zu begleiten und zu sichern. Die Vernunft hatte dann aber doch gesiegt (oder die Mühe, die Fahrer zu ermitteln).
Vom Rathausmarkt ziehen wir über den Reesendamm zum Jungfernstieg und überqueren an der Ampel die Straße, um auf die Alsterseite zu gelangen. Wir sind ja mit den vielen Rollis nicht die Schnellsten und so dauert der Transfer immerhin fünf bis sechs Minuten.
„Das kann man den Autofahrern nicht zumuten“, sagt die Polizei. „Doch!“, sagen wir. Denn das gehört zum Konzept: ein bisschen sensibilisieren, Kindern (Erwachsenen) mit Behinderungen ein bisschen Aufmerksamkeit schenken und dem lieben Gott ein kleines Stoßgebet schicken: „Danke, dass meine Familie gesund ist“ oder so ähnlich. Dafür werden die Autofahrer_innen sicher Verständnis haben. Die Polizei hat völlig recht, wenn sie meint, wir könnten das nicht beweisen. Stimmt! Umfragen haben wir noch nie durchgeführt. Allerdings hat uns der eine oder die andere Autofahrer_in mal eine kleine Spende durch die Scheibe gereicht.
Um zu verhindern, dass wir den Jungfernstiegübergang für besagten Zeitraum in unsere Hoheitsgewalt nehmen, wurde vorgeschlagen, die Ausgabe der Laternen auf dem Jungfernstieg durchzuführen. Den Vorschlag haben wir aufgegriffen, aber, nach eingehender Prüfung abgelehnt, weil es unverantwortlich schien, dass sich dort nahezu 1000 Menschen, viele Kinder – auch mit geistigen Behinderungen – so nahe am Staßenverkehr aufhalten. Daraufhin wurde vom Bezirksamt ein Gremium einbestellt, dass, ungehindert der Gefährdungslage, den Beschluss fasste – Tisch auf Rathausmarkt verboten – muss auf Jungfernstieg!
Ecke Ballindamm beantragen wir für das Feuerwerk stets eine Halteverbotszone von etwa fünf Wagenlängen. Als Ladeplatz für den Feuerwerker und aus Sicherheitsgründen, damit kein parkendes Fahrzeug beschädigt wird. In diesem Jahr erhielten wir dazu die Absage der Polizei, weil wir ja keine Genehmigung zum Aufstellen eines Tisches auf dem Rathausmarkt haben.
Brauchen wir nicht, sagen wir. Wir stellen keinen Tisch auf. Die Kinder behalten ihre Laternen einfach in der Hand. Vielleicht ein bisschen beschämend für eine weltoffene Stadt und einer hanseatischen Kultur unwürdig – aber okay. Wir wollen keinen Streit.
By the way: Im vergangenen Jahr hatten wir geflüchtete Eltern mit ihren Kindern zum Lichtermeer eingeladen. Das kam auch nicht gut an, denn das Polizeirevier verhinderte einen Parkplatz für die drei Busse, mit denen die Kinder zu uns kamen, weil wir die exakte Länge der Busse nicht angeben konnten.
Über sechs Wochen hat das Grübeln der Polizei gedauert, unsere diesjährige Aktion doch noch irgendwie zu verhindern. Es ist gelungen! Respekt! Nun sollen wir eine „Veranstaltungserklärung“ unterzeichnen, in der wir uns verpflichten, „alle Kosten zu ersetzen, die dem Träger der Straßenbaulast durch die Sondernutzung entstehen“ sowie „Aufwendungen für alle Maßnahmen“. Wir haben keine Ahnung, was das alles sein könnte. Vielleicht die Tauchergruppe in die Alster schicken, um die Reste vom Feuerwerk zu bergen? Das kann teuer werden. Die Bank des Hauptverantwortlichen hat nach Durchsicht seiner Kontoauszüge dringend von der Unterschrift abgeraten!
So dürfen wir wohl, zumindest für dieses Jahr, das „Lichtermeer für Deutschlands behinderte Kinder“ als gescheitert betrachten.
Am 28. Oktober werden bundesweit wieder tausende Kinderaugen von kleinen Menschen mit und ohne Behinderung im Scheine der Kerzen und Fackeln zum Leuchten gebracht. Ausgenommen natürlich in der Hanse- und inklusionsfreien Stadt Hamburg.
Nachtrag: Erfreulicherweise kann das Lichtermeer, nach weiterem vehementen Nachhaken und Verhandeln, am 28.10. doch noch realisiert werden! Das freut uns natürlich und wir treffen uns um 18:00 Uhr auf dem Rathausmarkt. Dies ist in einer Stadt, die sich mit dem Label „Inklusion“ schmückt, aber wohl auch das Mindeste.