Beitrag in der Reihe Perspektiven vom AK Reproduktion Berlin (Artikel als PDF).
Seit der Aktionskonferenz und der Verabschiedung der Resolution der Care Revolution 2014 sind drei Jahre vergangen. In unserem Netzwerk, aber auch in Deutschland und der Welt hat sich vieles verändert. Wir, der AK-Repro Berlin, wollen mit dem folgenden Text zu der weiteren Auseinandersetzung mit einem wichtigen Aspekt dieser Veränderungen anregen: Nämlich, dass rechte Bewegungen und Parteien hier wie andernorts massiv an Zulauf gewinnen und der Diskurs um Geflüchtete und Migration uns täglich mit rassistischem Denken und Handeln konfrontiert. Auf dem bundesweiten Netzwerk-Treffen 2016 in Hamburg gab es bereits einen Workshop zu dem Thema. Was bedeuten diese Entwicklungen aus einer care-revolutionären Perspektive und welche Schlüsse ziehen wir daraus für unsere Aktivitäten? Nur, wenn wir uns mit dieser Frage beschäftigen, werden wir als Care-Revolutionär*innen im Stande sein, den Rechtsentwicklungen etwas entgegenzusetzen.
Die Flucht- und Migrationsbewegungen des Sommers 2015 haben die gesellschaftliche Konstellation und das politische Feld ganz schön durcheinander geschüttelt. Sie haben das Krisenregime der EU ins Wanken gebracht, das in den Ländern des südlichen Europas enorme soziale und ökonomische Einschnitte verursacht hat. Die etablierten Parteien und politischen Institutionen leiden unter einem enormen Vertrauensverlust und mit schwindender Legitimation setzen sich auf nationalstaatlicher wie europäischer Ebene autoritäre Regierungsweisen durch. Der Rechten gelingt es, die lange bestehende ökonomische und gesellschaftliche Krise und ihre Folgen im Alltag der Menschen rassistisch zu deuten und ein gesellschaftliches Klima zu schüren, in dem Angst und Konkurrenz dominieren.
Zu dieser Konstellation gehört auch die katastrophale Versorgung der Geflüchteten von Seiten des deutschen Staates. Darin offenbart sich nicht nur die teils strukturell-rassistische Verfasstheit der Sozialsysteme, sondern auch die dramatischen Folgen, die jahrzehntelanges Sparen an öffentlichen Infrastrukturen (nicht zuletzt der öffentlichen Verwaltung) gezeitigt haben. Eine humanitäre Katastrophe konnte insbesondere im Winter 2015 nur dadurch verhindert werden, dass Millionen von Menschen in ,Willkommensinitiativen’ spontan und ehrenamtlich eingesprungen sind, um mit Spenden und vor allem durch praktische Solidarität den Geflüchteten das Nötigste zur Verfügung zu stellen. Diese Bewegung der Solidarität war hierzulande überraschend und etwas qualitativ Neues. Sie hat deutlich gemacht, dass die Bereitschaft, eine zunehmend entmenschlichende Politik sang- und klanglos hinzunehmen bei vielen Leuten Grenzen hat, und umgekehrt, dass die Potentiale praktischer Solidarität deutlich größer sind, als die allermeisten (Linken) das gedacht hätten. Gleichzeitig ist es der politischen und gesellschaftlichen Rechten gelungen, diese über Monate medial als ‚Flüchtlingskrise’ bezeichnetet Situation für sich zu nutzen. Lokale Pegida-Ableger und bereits bestehende Neo-Nazi-Strukturen konnten und können massenhaft Leute zu ‚wir sind das Volk‘-Kundgebungen und Demonstrationen mobilisieren sowie gewalttätige und lebensgefährliche Angriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte organisieren. In Jahr 2016 wurden fast 1000 Anschläge auf Flüchtlingsheime verübt, davon hatten laut Innenministerium 857 Anschläge einen rechtsradikalen Hintergrund, also rund 93 Prozent. Dabei wurden 560 Menschen verletzt, darunter 43 Kinder. Während neofaschistische Gruppen also nachts Menschen und Gebäude attackieren, nutzt die AfD bei Tage die Stimmung für sich.
So erreichte die AfD, was zahlreiche rechte Parteien zuvor nicht geschafft hatten: Sie konnte sich als politische Kraft rechts der CDU/CSU in der deutschen Bundespolitik etablieren. Außerdem gelang es ihr, die offensichtliche ‚Versorgungskrise’ rassistisch zu politisieren, diese als einen vermeintlichen Verteilungskampf um knappe Ressourcen darzustellen und national-soziale ‚Lösungen’ vorzuschlagen. Ihre Demagogen beklagen die hohe Kosten, die Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten mit sich bringe, und spielen dabei Geflüchtete gegen in Armut oder am Rande der Armut lebende Menschen mit deutschem Pass aus. Ihre Skandalisierung beruht jedoch auf einer falschen Gegenüberstellung: kein Mensch mit deutschem Pass ist wegen Geflüchteten ärmer geworden. Armut und die Krise sozialer Reproduktion sind ein Resultat etablierter Politiken, die seit Jahrzehnten betrieben werden. Des Weiteren konnte die AfD den verbreiteten Eindruck, die Politik’ agiere über die Köpfe der Leute hinweg, populistisch aufgreifen und sich als einzig echte ‚Alternative‘ zum maroden Politikbetrieb darstellen. In Folge erzielte sie bei Landtagswahlen aus dem Stand zweistellige Ergebnisse. Sie bildet eine Art Bündelungspunkt, der über antimuslimischen Rassismus, über anti-feministische und trans/homofeindliche Themensetzungen sehr unterschiedliche Teile des rechten Spektrums und bis weit in die sog. Mitte hinein zu verbinden vermag.
Insgesamt formiert sich die Rechte offensiver und schafft es mehr und mehr Leute hinter sich zu versammeln. Ihre Politik richtet sich nicht nur gegen Geflüchtete, sondern auch gegen Frauen*, Nicht-Heterosexuelle, Arme und sozial ausgegrenzte Menschen. Reaktionäre Familien-Rollenbilder, Rassismus und der Hass gegen eine offene Gesellschaft prägen das politische Weltbild der rechspopulistischen Bewegung. Dieser wachsende Rechtspopulismus, der sich mit der neuen Rechten verbunden hat und in Teilen neofaschistische Züge annimmt, ist außerdem längst nicht nur ein deutsches Phänomen. Sowohl die enormen Erfolge, wenn auch knapp verfehlte Präsidentschaft des Front National in Frankreich, als auch die Volksabstimmung zum BREXIT und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ziehen ihre Kraft aus ähnlichen Konstellationen. Diese internationalen Rechte verstärkt sich dabei auch gegenseitig, so beruft sich Trump positiv auf den Brexit, Front National und AfD wiederum nutzen den Sieg Trumps zu ihrer Selbstbestätigung.
Um die Frage, wie es angesichts dieser teils dramatischen Situation mit der gesellschaftlichen Entwicklung weitergehen soll, werden heftige Auseinandersetzungen geführt. Im medialen und politischen Raum polarisiert sich die Konstellation zwischen (autoritär-)neoliberalen Kräften auf der einen und Rechtspopulisten auf der anderen Seite. Die oben beschriebenen solidarischen Initiativen, Einzelpersonen und linke Kräfte sind in Deutschland kaum noch medial präsent, und finden keinen gebündelten politischen Ausdruck. Ihr engagiertes, solidarisches Wirken hat sich bisher nicht in einen politischen Einspruch übersetzt.
Wir halten es für eine drängende Herausforderung, an einem solchen gemeinsamen politischen Ausdruck zu arbeiten und eine Art ‚dritten Pol’ in dieser Konstellation öffentlich wirksam zu machen. Es bedarf unbedingt einer queerfeministischen, antirassistischen und sozialen – einer alle Menschen einschließenden und soziale Ungleichheiten thematisierenden – Alternative zur derzeitigen Politik. Wir denken, dass dies möglich ist. Das Netzwerk Care Revolution kann Teil einer solchen gesellschaftlichen Kraft sein, die mit solidarischen Care-Politiken gegen rechte Projekte eintritt. In jedem Fall lohnt es sich, darum zu kämpfen!
Was kann all das für uns und unsere Care-Politiken heißen?
Die Themen und Praxen, die sich im Netzwerk wiederfinden, sehen jedoch im Einzelnen sehr unterschiedlich aus. Unterschiedliche Gruppen des Netzwerks betrifft das Erstarken der Rechten auf unterschiedliche Weise. In der Resolution von 2014 haben wir einiges zusammengetragen, wofür das Netzwerk Care Revolution eintritt, als gemeinsamer Nenner ist dabei die Forderung nach einem guten Leben für alle weltweit als Konsens anzusehen. Wie können wir dieser Forderung unter veränderten Bedingungen eine konkrete Gestalt geben und ihr in unseren alltäglichen Kämpfen Ausdruck verleihen?
Solidarität ist für uns dabei ein zentraler Punkt. Solidarisches Handeln arbeitet einerseits der neoliberalen Idee eines vereinzelten Individuums entgegen und verhindert, dass sowieso schon marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Auf der anderen Seite stehen solidarische Praxen auch für eine Kommunikation auf Augenhöhe, gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung von Minderheiten nach Äußerlichkeiten / Sexualität / ökonomischer Liquidität / Pass – letztlich dafür, dass allen Menschen gleiche Rechte zustehen. Rechte Initiativen wie Pegida machen sich die neoliberale Vereinzelung zu Nutze, in dem sie das reale Angebot machen, (kollektiv) politisch aktiv zu werden, sich selbst zu ermächtigen, gegen „Die-da-oben“, Teil einer Bewegung zu sein. Dabei bieten sie scheinbar einfache Lösungen an, in dem sie fordern, dass nur deutsche Menschen vom Sozialsystem unterstützt werden sollten. Somit ist „der Feind“ schnell ausgemacht: Geflüchtete, die das Geld des Sozialsystems für sich beanspruchen, wodurch ein Nachteil für Deutsche entstünde. Hinter dieser Logik steckt ein autoritär-rassistisches Verständnis von Politik, das die offenkundigen Lücken des Sozialsystems als Kampf um Ressourcen auslegt zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen. Diese Behauptungen wurden faktisch von zahlreichen Studien widerlegt. Durch Geflüchtete sind beispielsweise Hartz4-Empfänger*innen keinerlei finanzielle Nachteile entstanden. Es muss aus einer solidarischen Perspektive nun darum gehen, zu diskutieren, Menschen konkrete Angebote zu machen, sich auseinanderzusetzen, sich aber auch abzugrenzen von denjenigen, die Rassismus und Neofaschismus zu ihrem Grundverständnis von Politik erklären.
Tatsächlich ist es so, dass Angebote und Initiativen von links vielerorts fehlen, vor allem auf dem Land. Pegida und andere Gruppen bieten einfache und häufig postfaktische Antworten, sie stoßen mit ihren Praxen aber auch in eine Lücke des politischen Aktiv-Seins. Ein solidarischer Pol muss sich also auch nach außen wenden, als Angebot für die breite Bevölkerung sichtbar sein. Macht entsteht durch gemeinsames politisches Handeln.
Eine zentrale Antwort des Care-Netzwerks gegen rassistische Hetze sollte darin bestehen, gezielt die positive Erfahrungen zu stärken, dass durch eigenes solidarisches politisches Handeln Bedingungen in einem emanzipatorischen Sinne gestaltet und verändert werden können. Solidarische Praxen (wie in den Willkommens-Initiativen, aber längst nicht nur) stellen in dieser Situation ein wichtiges Moment politischer ‚Gegenmacht’ dar – und zwar aus zwei Gründen: Zum einen geben sie konkret praktische Antworten und schaffen damit teils Abhilfe für politische hergestellte Krisenfolgen und Mangelsituationen. Zum anderen bieten sie Lernmöglichkeiten eines anderen Miteinanders und der kollektiven Selbstermächtigung. Politischer Frustration kann die Erfahrung entgegengesetzt werden, dass man die eigenen Lebensbedingungen gemeinsam ändern und mitgestalten kann.
Wir beobachten, dass viele (im Arbeitsleben, in der Politik, im Alltag) solche Erfahrung vielleicht nie gemacht oder die Hoffnung darauf verloren haben, dass sich die Verhältnisse zu einem solidarischen Miteinander verändern. Hier muss es auch darum gehen, über echte Alternativen zusprechen, damit diese überhaupt denkbar werden können. Die Diskussionen, die wir rund um die Idee einer Care Revolution führen, und die Aktivitäten der Gruppen im Netzwerk sind hier schon ein wichtiger und bereits erfolgreicher Ansatz. Sie leben und erweitern – wenn auch in kleinen Schritten – eine solidarische Perspektive, die an den Bedürfnissen der Menschen ansetzt und ein wünschbares Leben in Aussicht stellt. Wenn wir dabei solidarisches Handelns in den Mittelpunkt stellen, können wir rechtspopulistischen Projekten entgegentreten, die auf Ausgrenzung und Abschottung zielen.
Mit der Arbeit der Willkommensinitiativen bewegen wir uns allerdings auch in einem derzeit zentralen gesellschaftlichen Widerspruch: Solidarische und ehrenamtliche Praxis, die gesellschaftsverändernd wirken soll, findet sich angesichts der momentanen Politik schnell in der Situation wieder, durch unbezahlte Arbeit Lücken in der öffentlichen Versorgung zuschließen. Lücken, die die Sparpolitik der letzten Jahre erst gerissen hat. Lücken, die von politischen Entscheidungen gegen eine solidarische Gesellschaft zeugen. Gegen diese brutale Sparpolitik antretend, finden wir uns so in einer Situation, die gröbsten Mängel auszugleichen und damit auch Strukturen zu stabilisieren, die das Problem geschaffen haben. Eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erreichen wir so nicht. Einer solchen kalkulierten und staatlich sogar umfassend geförderten „Ver-Ehrenamtlichung“ der öffentlichen Daseinsvorsorge können wir nur dadurch entgegen treten, dass wir uns dieses Widerspruchs bewusst sind und unsere solidarischen Praxen mit konkreten politischen Kämpfen um eine Veränderung dieser Bedingungen verbinden.
Dies bedeutet gerade nicht, sich aus ehrenamtlichen Tätigkeiten zurückzuziehen – im Gegenteil geht es darum, einen Weg zu finden, wie unsere Aktivitäten mehr und anderes sein können als ein bloßes Stopfen von Lücken. Lasst uns über die Perspektiven eines rebellischen, politischen Ehrenamts nachdenken.
Dieses ‚Mehr-und-Anders’ beinhaltet auch eine materielle Grundlage für solche ‚Gegenmacht’ zu schaffen. Eine gelebte Solidarität, wo Menschen teilen, wenn und was sie können, ermöglicht Erfahrungen, wie andere gesellschaftliche Strukturen aussehen können, die bedürfnisorientierter sind. Eine mittel- bis langfristige Perspektive zielt aber beispielsweise auch auf die Ausweitung von Kollektivbetrieben, selbstverwalteten Gesundheitszentren, Genossenschaften und ähnlichem, wie sie ja auch schon Teil unseres Netzwerks sind.
Das ‚Mehr-und-Anders’ bedeutet, dass solche solidarischen Praxen auf Gegenseitigkeit, zumindest dem Versuch von Augenhöhe und einem geteilten Interesse an Veränderung beruhen sollen. Dieser Gedanke lässt sich an dem Unterschied zwischen ‚Solidarität’ und ‚Wohltätigkeit’ deutlich machen: Solidarität beruht auf gemeinsamen Interessen und der Kommunikation von Bedürfnissen, während Wohltätigkeit einseitig zu Gunsten vermeintlich Bedürftiger geschieht und immer verschiedene Hierarchien impliziert: die einen geben, die anderen nehmen; die einen haben, die anderen brauchen; die einen sind aktiv, die anderen eher passiv; die einen können gehen, wenn sie wollen, die anderen sind auf Wohlwollen angewiesen. So stabilisieren sich Abhängigkeiten, statt Ansätze für einen gemeinsamen Kampf zu finden. Widerstand und Kämpfe derjenigen, die als ‚bedürftig’ markiert sind, werden unsichtbar gemacht. Oft schleichen sich solche Momente auch dort ein, wo man das genaue Gegenteil will – hier gilt es sich die gesellschaftlich produzierten Ungleichheiten immer wieder bewusst zu machen. Es geht darum, den Zusammenhalt zwischen gleichgestellten Menschen und Gruppen und den Einsatz für eine gemeinsame Zukunft zu erproben und in verbindliche Strukturen zu gießen. Es geht darum, gleiche Rechte für alle zu erkämpfen und die bereits bestehenden Kämpfe um diese Rechte sichtbar zu machen. Aber auch kleine Schritte bilden hier einen Anfang!
Auch wenn es ziemlich groß klingen mag, so sind wir der Überzeugung, dass die genannten Praxen und Erfahrungen auch eine wichtige Antwort auf die oben skizzierte Krise der Repräsentation, auf politische Entmutigung und nicht zuletzt auf den wachsende Bewegung von rechts darstellen. Zentral ist dabei, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, denn die Angriffe der konservativen und rechten Kräfte verschärfen soziale Ungleichheiten und gelten all jenen, die sich eine solidarische Welt wüschen.