Care Revolution | Netzwerktreffen am 20.April und 10 Jahre Care Revolution
zurück

Netzwerktreffen am 20.April und 10 Jahre Care Revolution

Kalender-Icon 20. April 2024
Uhr-Icon 11:00 Uhr

Am 20.04.2024 findet unser nächstes überregionales Online-Netzwerktreffen statt. Wir kommen wieder für einen halben Tag zusammen, tauschen uns aus und planen unsere nächsten Aktivitäten. Im Zentrum steht die Perspektive von gemeinsamen Auftritten und Aktionen, in deren Kern steht: Wir akzeptieren nicht, dass der Rahmen unserer Care-Arbeit und unserer Sorgebeziehungen über unsere Köpfe hinweg bestimmt wird. Dabei geht es uns auch um die Zusammenarbeit innerhalb der gesamten Care-Bewegung.

Meldet euch für die Teilnahme an unter: carenetzwerktreffen@posteo.de. Ihr erhaltet dann eventuell wichtige Informationen und ca. 2 Tage vorher den Zugangslink.

Mehr Infos zum Netzwerktreffen findet ihr hier, zur Einstimmung für die Teilnehmenden und auch für alle Interessierten findet ihr im Anschluss und hier einen Artikel, den Matthias Neumann für ‚Wir Frauen‘ im März zu zehn Jahren Care Revolution geschrieben hat. Vielen Dank an die ‚Wir Frauen‘-Redaktion, dass ihr uns den Text zur Verfügung stellt!

10 Jahre Netzwerk Care Revolution. Kommt mit ins nächste Jahrzehnt!

Das Netzwerk Care Revolution ist wegen eines Beitrags zum zehnjährigen Bestehen in diesem Jahr angefragt worden, wie schon wie schon im Jahr 2019 zum Fünfjährigen Gabriele Winker. Dabei stand in der Mail aus der Redaktion: „Unsere Leser*innen wissen, was Care Revolution ist“ – das ehrt und freut uns.

Dennoch in aller Kürze: Das Netzwerk Care Revolution besteht seit 2014. Es hat sich als Zusammenschluss von feministischen und gewerkschaftlichen Gruppen, Selbstvertretungen entlohnt und unentlohnt Sorgearbeitender und weiteren Vereinigungen und Personen gegründet. Über die verschiedenen Positionen hinweg verbindet uns, dass wir die unter Kostendruck leidende entlohnte und die abgewertete unentlohnte Sorgearbeit ins Zentrum der Gesellschaft holen wollen.

Die Kernpunkte, die Care Revolution ausmachen, haben dabei auch nach zehn Jahren Bestand: Erstens: Mit Ausnahme der großen Krankenhäuser sind die einzelnen Gruppen Sorgearbeitender zu schwach, zu vereinzelt, zu verwundbar, um substantielle Veränderungen zu erkämpfen. Um so dringender benötigen wir Bündnisse zwischen beruflich und unentlohnt Sorgearbeitenden und Nutzer*innen der Einrichtungen. Diese herzustellen, bleibt eine Hauptaufgabe. Zweitens: Bedürfnisse, gerade auch Sorgebedürfnisse, sind nicht verhandelbar. Deshalb ist diese Gesellschaft so lange zu verändern, bis diese Bedürfnisse für alle ohne Ausschlüsse erfüllbar sind. Drittens: Sorgearbeit ist kein Frauenthema, aber es geht ganz zentral um Geschlechterverhältnisse. Deshalb ist nicht nur die Qualität der sozialen Infrastruktur Thema, sondern auch patriarchale Normen – in Gesetzen und in den Köpfen. Viertens: Die grundlegende Ignoranz insbesondere gegenüber der unentlohnten Sorgearbeit ist in die kapitalistische Gesellschaftsformation eingeschrieben. Das heißt zum einen, dass es ohne Kapitalismuskritik nicht geht, zum anderen macht sich diese Ignoranz nach wie vor auch in der Zusammenarbeit in linken Bündnissen bemerkbar und wird bearbeitet.

In der COVID-Pandemie brach zunächst, gerade im besonders betroffenen Pflegebereich, die Möglichkeit weg, zur Durchsetzung von Forderungen in gesellschaftlichen Bündnissen auf die Straße zu gehen. Dies machte einen Hauptteil der Tätigkeit von Care Revolution-Gruppen aus. Andererseits wurde in dieser Zeit, als viele politische Aktivist*innen erstmals Bekanntschaft mit den Zoom-Kacheln machten, das Interesse an einer bewegungsübergreifenden Perspektive deutlich. Wir nahmen an solchen Bemühungen teil und initiierten sie auch lokal.

Unser größtes Projekt in der Corona-Zeit war die kleine Kampagne „Platz für Sorge“, die 2021, mit Ausläufern ins Jahr 2022, stattfand. Die Bedeutung, aber auch die Überlastung der Beschäftigten in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Kitas wurde während der Pandemie offensichtlich, ebenso wie die der unentlohnten Sorgearbeit, die insbesondere in der Kombination von Kita- und Schulschließungen sowie Home-Office in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit geriet. In elf Städten führten lokale Bündnisse kleinere und größere Aktionen auf öffentlichen Plätzen durch. Viele dieser Bündnisse wurden von Care Revolution-Gruppen organisiert. Die alltäglichen Bedrängungen und notwendigen grundlegenden Veränderungen wurden dabei in Erzählungen und Forderungen deutlich. Verbindendes Merkmal war die Umbenennung zentraler Plätze in „Platz der Sorge“ und das gemeinsame Logo. Der überregionale Rahmen als Verstärker half den lokalen Bündnissen, aber wir lernten einmal mehr: Bündnisse brauchen ein konkretes Ziel, zu dessen Durchsetzung man sich verabredet. Gerade die, deren Care-Alltag prekär oder unerträglich ist, müssen spüren können, dass dieser durch gemeinsame Aktion verändert werden kann.

Nachdem Corona zumindest als den Alltag umschmeißende Pandemie vorbei war, setzte sich der gefühlte Ausnahmezustand dennoch fort. Wir haben uns nicht nur mit der Prekarität und Erschöpfung herumzuschlagen, die die strukturelle Sorglosigkeit des Kapitalismus mit sich bringt. Das bedeutet, dass unser Umfeld unübersichtlich, sich schnell verändernd und auch ganz real immer bedrohlicher wird, dass wir für globale Solidarität gegen Abschottungsversuche eintreten müssen. In einer Welt, die sich in so vieler Hinsicht zum Schlimmeren wandelt – Klimakatastrophe, Kriegführung als Normalität, völkisch-autoritäre Strömungen in greifbarer Nähe zur Macht usw. –, ist Care nicht mehr getrennt von den Themen anderer sozialer Bewegungen verhandelbar. Das von Konkurrenz und Profitmaximierung angetriebene Gesellschaftssystem überlastet Ökosysteme ebenso wie Sorgearbeitende. Kriege um Ressourcen und Empathielosigkeit gegenüber Flüchtenden und Armen nehmen zu und all dies wirkt sich selbstverständlich auf Sorgebeziehungen aus. Wir brauchen Erfolge in „kleinen“ Sorgekämpfen, aber wenn wir die großen Rahmenbedingungen außer Acht lassen, haben wir schon verloren. Es geht also wie immer bei Care Revolution ums Zusammenkommen, diesmal aber auch bewegungsübergreifend. Care Revolution-Gruppen beteiligen sich daher immer öfter auch an Klima- oder Friedensaktionen oder an Aktionen zur Unterstützung von Migrant*innen. Über solche Allianzen wird aktuell von vielen Seiten nachgedacht – noch tastend, aber immer intensiver.

Dies ist eine erste Aufgabenstellung, vor der das Netzwerk Care Revolution aktuell steht. Weitere ergeben sich daraus. Zunächst werden wir weiterhin, so wie es etwa in Krankenhausbündnissen erforderlich war und ist, die Bedeutung der unentlohnten Arbeit und derer, die sie tun, insbesondere Frauen*, in solchen Verbindungen verankern müssen. So frustrierend diese Aufgabe oft ist, sie bleibt uns erhalten.

Weiter stehen wir vor Fragen, die über Care im engen Sinn hinausgehen: Wie positionieren wir uns in Kriegen, in denen es offensichtlich keine gute Seite gibt, zu deren Opfern wir aber nicht schweigen können? Was ist eine „care-zentrierte“, global teilbare, solidarische Lebensweise, übersetzt ins handfest Vorstellbare? Wie gehen wir damit um, wenn massenhaft Menschen, die wir erreichen wollen, nach rechts driften – wie geht Kompromisslosigkeit gegenüber autoritären Ressentiments mit ernstnehmender Empathie gegenüber denen, die sie äußern, zusammen? Über diese und andere Fragen müssen wir, um handlungsfähig zu bleiben, ernsthaft in die Diskussion kommen. Debatten brauchen wir auch, wenn wir ein dezentral aufgestelltes Netzwerk bleiben und uns dennoch hörbarer in die anstehenden großen Konflikte einmischen wollen.

Mitte Oktober werden wir mit einem zweitägigen Event in Leipzig 10 Jahre Care Revolution feiern. Dort blicken wir sicherlich nicht nur zurück, sondern auch nach vorne. Dabei zeichnet sich ab, dass Vergesellschaftung ein großes Thema wird.  Denn auch in anderen Gruppen wird, unter anderem mit dem Begriff der Sorgenden Stadt, über Demokratisierung und Entprivatisierung von Einrichtungen und über kollektive Lösungen für unentlohnte Care-Tätigkeiten nachgedacht. All dies wären Schritte hin zur Verfügung über die Bedingungen unserer Sorgebeziehungen in einer solidarischen Gesellschaft – also genau das, wofür Care Revolution vor 10 Jahren angetreten ist. Hier hoffen wir gleichzeitig an kleinen Erfolgen und großen Bündnissen zu arbeiten.

Macht mit! Informiert euch auf unserer Website www.care-revolution.org. Dort findet ihr auch Berichte von unseren Aktionen. Oder nehmt Kontakt auf unter koordination@care-revolution.org!

Kontext: Netzwerktreffen