„Was würdest Du mit der gewonnenen freien Zeit machen, wenn die Erwerbsarbeitszeit auf 30 Wochenstunden reduziert würde?“ und „Welche Fragen möchtest Du auf die Tagesordnung setzen, wenn Du in einen Bürgerrat als Mitglied ausgelost würdest?“ Antworten auf diese Fragen sammelten wir von Menschen, die an unseren Stand kamen. Erstmalig beteiligten wir uns mit einem Stand an dem DGB-Familientag am 1. Mai zu dem traditionellerweise mehrere Tausend Menschen auf die Festwiese im Dortmunder Westfalenpark kommen. An rund 50 Ständen wurde miteinander gefeiert, gegessen und diskutiert.
Wir konzentrierten uns an unserem Stand auf zwei Themen, die in der letzten Zeit die Schwerpunkte unserer Arbeit waren: die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit und die Einrichtung eines Bürgerrates in Dortmund. Auf je vier Tafeln waren Texte zu jedem der beiden Themen zu lesen. Schön, dass immer wieder Menschen stehen blieben, die Informationen aufmerksam lasen und mit uns ins Gespräch kamen.
Von zwei Gesprächen sei kurz berichtet. Spontan antwortete eine Frau mittleren Alters auf die Frage, was sie mit ihrer evtl. gewonnenen freien Zeit machen würde: „Ich würde mich erholen.“ Zu ihrer Arbeit würde sie als Folge erholter als jetzt gehen, die Folge davon: sie würde mehr schaffen und würde seltener krank – und am Ende des Jahres wäre die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden bzw. die erbrachte Arbeitsleistung trotz Reduzierung der Wochenarbeitszeit annähernd gleich. Ihr selbst wäre es deutlich besser gegangen und sie hätte nicht nur mehr für sich selbst, sondern auch für andere sorgen können. Bleibt die Frage: Wenn die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit so vernünftig ist, warum wird sie nicht längst praktiziert? Oskar Negt schrieb dazu in seinem Buch Arbeit und menschliche Würde 2001: „Die betriebsam aufrechterhaltene Zeitnot ist (…) vielleicht eines der stärksten Mittel, überholte Herrschaftsverhältnisse funktionsfähig zu halten. Wer unter ständige Zeitnot gesetzt ist, der wird es schwer haben, sich eigene Gedanken zu machen und zur Besinnung zu kommen…“ (S.437)
„Eigentlich ist mir der Gedanke, einen Bürgerrat mit ausgelosten Mitgliedern zu bilden, sympathisch. Ich frage mich nur, wie das mit der Sachkompetenz in einem solchen Bürgerrat ist“, gab ein Mann, für den mit dem 1. Mai sein Ruhestand begann, zu bedenken. Rückfrage: Wie ist das mit der Sachkompetenz der gewählten Politiker*innen, die viel, wenn nicht die meiste Zeit darauf verwenden, einen bestimmten Posten zu erringen bzw. zu verteidigen, und die obendrein für mehrere Themen, mit denen sie oft keine eigenen Erfahrungen verbinden, gleichzeitig zuständig sind? Demgegenüber würde eine ausgeloste Zusammensetzung eines Bürger*innenrates eher die Interessen und Erfahrungen der Bevölkerung – nicht nur der mit deutscher Staatsbürgerschaft – repräsentieren. Die Mitglieder könnten sich, unterstützt durch Wissenschaftler*innen, in ein Thema ohne Karrieregedanken einarbeiten und gemeinsam, ohne Fraktionszwang, einen Lösungsvorschlag für ein Problem erarbeiten.
Den ursprünglichen Plan, ein Stück Bürgerrat zu spielen, konnten wir nicht verwirklichen – die dafür nötige Ruhe und Zeit waren im Rahmen des Festes nicht gegeben. Wohl aber eine Abfrage, welche Themen für sehr wichtig, wichtig, nicht so wichtig gehalten wurden, um in einem Bürgerrat beraten zu werden. An einem Losrad konnte sich jede*r ein Thema zulosen. Am häufigsten als sehr wichtig eingestuft: „Die heißen Monate im Jahr nehmen zu. Straßen und Hauswände sorgen dafür, dass in den Sommermonaten die Hitze nicht abziehen kann. Für kranke, für ältere und alte Menschen und für Kinder kann die Hitze (lebens)gefährlich sein. Was muss getan werden, um sich stauende Hitze zu verringern? Um sog. Betonwüsten zu vermeiden?“ Auf den nächsten Plätzen landeten die Fragen nach bezahlbarem Wohnraum und nach einer Fußgänger-, Rad- und Rollstuhlfahrer*innen- und Kinderfreundlichen Stadt.
Konnten wir am Morgen noch in aller Ruhe unseren Stand aufbauen, geriet der Abbau hektisch. Ein am späten Nachmittag einsetzender Platzregen beendete das Fest abrupt. Alle packten ihre Sachen und flohen vor dem Regen – in unserem Fall nicht erfolgreich. Für eine freundliche Verabschiedung von den Menschen an den Nachbarständen Jusos und DIDF fehlte die Ruhe. Immerhin: Ein Kontakt zur Gleichstellungsstelle der Stadt konnte wiederbelebt werden. Diese müsste doch auch ein Interesse an der Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit und an einem Bürger*innenrat haben.
Im Ganzen: ein schönes internationales Fest, an dem besonders viele Migrant*innen teilgenommen haben und eine gute Gelegenheit, mit einigen ins Gespräch zu kommen.