Heteronormative Arbeitsteilung in Zahlen – zur aktuellen Zeitverwendungserhebung

Alle zehn Jahre veröffentlicht das Statistische Bundesamt eine Zeitverwendungserhebung. Diese bestätigt uns regelmäßig darin, dass die unentlohnte Arbeit den Großteil der gesellschaftlichen Arbeit ausmacht und die geschlechterhierarchische Arbeitsteilung trotz aller Kämpfe und Kritik ungeheure Hartnäckigkeit besitzt. Aber auch die Veränderungen zwischen den Erhebungen sind für unsere Praxis wichtig. Matthias Neumann hat einen Überblick über diese Veränderungen versucht; wir freuen uns – wie immer! – über Kritik und Diskussionsbeiträge. Der Text ist unten oder hier als PDF zu lesen.

Die Zeitverwendungserhebung, die das Statistische Bundesamt in zehnjährigen Abständen veröffentlicht, ist unsere wichtigste Datenquelle, wenn es um Belege für die quantitative Bedeutung der unentlohnten Arbeit geht und um Aussagen empirisch zu fundieren, wie sich mit Geschlechternormen Praxen der geschlechtlichen Arbeitsteilung verändern oder eben stabil bleiben. Dass es diese Erhebung seit Anfang der 90er Jahre gibt, ist von der feministischen Bewegung erkämpft, und bei der Gründung des Netzwerks Care Revolution war es sicherlich von Bedeutung, dass diese Daten existierten und feministische Wissenschaftlerinnen mit ihnen arbeiteten[1]. In diesem Frühjahr, sozusagen pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum des Netzwerks, sind die Ergebnisse der nunmehr vierten Zeitverwendungserhebung veröffentlicht. Dabei zeigt sich, dass der große zeitliche Abstand der Erhebungen problematisch ist: Die Daten sind von 2022, und es ist nicht ablesbar, was ein mittel- oder langfristiger Trend ist und wo sich die Reaktionen auf die Corona-Pandemie niederschlagen.

Dieser Beitrag soll keine umfassende Darstellung der patriarchalen geschlechtlichen Arbeitsteilung sein; das Grundlegende ist oft und klar herausgearbeitet und kritisiert (vgl. etwa Fußnote 1). Mir geht es hier um ein paar aus meiner Sicht bemerkenswerte und teils auch überraschende Veränderungen gegenüber der letzten Erhebung.[2] Die folgenden Vergleiche beziehen sich also auf 2022 gegenüber 2012/3, wenn nichts anderes genannt ist.

1) Die Zeit, die Frauen[3] auf unentlohnte und entlohnte Arbeit verwenden, ist sowohl absolut wie im Verhältnis fast unverändert geblieben.[4] Dass der Anteil unentlohnter Arbeit an der Gesamtarbeit leicht gestiegen ist, liegt daran, dass es bei Männern eine Verschiebung hin zur unentlohnten Arbeit gab. Der Trend der letzten drei Erhebungen, dass der Anteil der entlohnten Arbeit an der Gesamtarbeit sinkt, setzt sich also der Erhebung nach nicht weiter fort.[5] Hier scheint aber durchaus möglich, dass sich das in den folgenden Jahren wieder verändern wird, weil die Delle im Erwerbsarbeitsvolumen durch die Pandemie[6] 2022 noch nicht wieder kompensiert worden ist.[7] Da die Frauenerwerbsquote weiter steigt, wenn auch langsamer (2012-2022 +5.0 Prozentpunkte; 2002-2012 +9.2 Prozentpunkte)[8], liegt der Grund sicherlich an der Zunahme der Teilzeitbeschäftigung.[9]

2) Frauen arbeiten, wenn Erwerbs- und unentlohnte Arbeit zusammengerechnet werden, etwas mehr als Männer. Allerdings ist der Unterschied mit 3% recht gering. Allerdings ist damit noch längst nicht alles über die Belastung infolge der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung ausgesagt. Insbesondere werden der Mental Load[10], die permanente Auseinandersetzung mit Arbeitsaufgaben und Terminplanung in der Familie, oder auch die Last des „gut Wetter Machens“ als Formen von permanenter Belastung, in der „Freizeit“ oder während anderes getan wird, zwangsläufig von dieser Erhebung nicht erfasst und sind mit Sicherheit sehr ungleich verteilt. Auch die Art der Arbeit, Gleichzeitigkeit von Aufgaben, planbare Freizeit und anderes sind zu berücksichtigen, wenn über Arbeitsbelastung gesprochen wird. Wegen des steigenden Anteils unentlohnter Arbeit bei Männern ist der Gender Care Gap gesunken, von 52.4% (lies: Frauen leisten 152.4% der unentlohnten Arbeitszeit von Männern) auf 44.3%.

3) Wenn die Geschlechterdifferenz bei der unentlohnten Arbeit genauer betrachtet wird, zeigt sich: Der Unterschied im Umfang der unentlohnten Arbeit entsteht durch die Bereiche Küche (Gap: 84.4%), Instandhaltung von Wohnung und Kleidung (Gap: 127%) und Kümmern um Haushaltsmitglieder (Gap: 90.1%). Wenn wir uns nun noch die Kinderbetreuung detaillierter ansehen, sehen wir, dass der Gap bei Spielen, Sport und Beaufsichtigung 37% beträgt, im Bereich „Körperpflege, Füttern, Anziehen, medizinische Versorgung“ 152%. Das ist schon relevant, wenn es um die Arbeitsbelastung, nicht nur um die Arbeitszeit geht, und weist auch auf die Hartnäckigkeit traditioneller Arbeitsteilung hin.

4) Die Gesamtarbeitszeit ist in Haushalten mit Kindern (Alleinerziehende und Paare)[11] deutlich höher als in Haushalten ohne Kind, um 23.7%. Diese Differenz zeigt, wie wichtig Care Revolution-Kernforderungen sind: Unterstützende soziale Infrastruktur ausbauen, erwerbsunabhängige individuelle Absicherung, Infragestellung der Hegemonie der Kleinfamilie. Männer mit Kindern im Haushalt arbeiten etwa 4.5 Stunden mehr in der Erwerbsarbeit und 7.5 Stunden mehr in der unentlohnten Arbeit als Männer ohne Kinder. Frauen mit Kindern im Haushalt arbeiten 15 Stunden mehr unentlohnt und fünf Stunden weniger entlohnt als Frauen ohne Kinder.[12]

Dabei haben Männer und Frauen in Haushalten mit Kindern die gleiche Gesamtarbeitszeit, während, dieser Kontrast hat mich überrascht, Frauen in Haushalten ohne Kind eine höhere Gesamtarbeitszeit haben. Insbesondere arbeiten Männer hier 6:45 Stunden weniger im unentlohnten Bereich als Frauen, ohne dass das mit Elternrollen (wie eigenartig auch immer) begründet werden könnte. Interessant wäre, hier weitere Informationen zu erhalten: Sind Haushalte ohne Kinder einfach Haushalte mit höherem Altersdurchschnitt, so dass hier traditionelle Geschlechterrollen noch ungebrochener gelten, oder gibt es weitere Gründe? Die veröffentlichten Tabellen sind jedoch nicht detailliert genug, um einer Antwort näher zu kommen.[13]

5) Bei der Betrachtung, wie sich der Arbeitsumfang von Frauen in den zehn Jahren zwischen den Erhebungen verändert hat, zeigen sich zwei deutliche Veränderungen: Erstens leisten Frauen mit Kindern von 6 bis 18 Jahren deutlich mehr Erwerbsarbeit als 2012/3 (+11.8%). Bei Frauen mit jüngeren Kindern und Frauen ohne Kind im Haushalt sank dagegen der Umfang der Erwerbsarbeit.

6) Die zweite große Veränderung in diesem Kontext: Der Umfang der unentlohnten Arbeit von Männern ist gestiegen, aber es gibt auch einen, im Durchschnitt sehr geringen, Anstieg der unentlohnten Arbeit von Frauen. Dieser kommt, in diesem Kontrast für mich überraschend, jedoch ausschließlich dadurch zustande, dass Frauen mit kleinen Kindern unter 6 Jahren 5.2% mehr unentlohnte Arbeit leisten. Bei Frauen ohne Kinder und mit älteren Kindern sinkt dagegen der Umfang der unentlohnten Arbeitszeit. Weshalb ist das so? Vier Möglichkeiten liegen auf der Hand: 1. Die Daten wurden 2022 erhoben. In dieser Zeit waren im Zusammenhang mit Corona möglicherweise noch manchmal Kitas geschlossen oder mit eingeschränkten Öffnungszeiten, so dass mehr Betreuung zu Hause stattfand. Tatsächlich ist 2021 erstmals seit 15 Jahren die Betreuungsquote der unter 6-Jährigen gesunken.[14] Aber die in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegene Betreuungsquote kann das nicht aufwiegen.[15] 2. Home-Office wurde ausgeweitet, so dass häufiger Situationen entstehen, in denen Lücken und Pausen in der Erwerbsarbeit zugleich Betreuungszeit sind. Aber auch dem steht die gestiegene Kita-Quote entgegen. Es geht schließlich um einen Zeitraum von zehn Jahren, in dem sich der Kita-Ausbau-Trend mit dem Home-Office-Trend überlagert. 3. Der Druck, als „gute Eltern“ möglichst viel Zeit für die Kinder und mit den Kindern aufzuwenden, ist in den letzten zehn Jahren sicherlich gestiegen und bildet sich im realen Tun ab. Schlägt sich dies so exklusiv bei jüngeren Kindern nieder bzw. ist es ein so neues Phänomen, dass es vor allem bei jüngeren Eltern mit jüngeren Kindern zum Tragen kommt? 4. Es ist inzwischen viel weiter akzeptiert, wie umfassend Arbeit ist, die nicht entlohnt wird. Es ist gut vorstellbar, dass Eltern bei der Erhebung weniger Hemmungen haben, etwa Betreuungszeiten so und nicht als freie Zeit aufzuschreiben. Ein Teil der Erklärung kann also sein, dass gar nicht so viel anders gemacht, es aber anders bewertet wird. Das wäre sogar ein Erfolg.

6) Schließlich wurde in der Zeitverwendungserhebung erstmals nach dem Einsamkeitsempfinden gefragt. Hier zeigte sich, dass Alleinerziehende mit Abstand das höchste Risiko der Einsamkeit haben: 39.7% der befragten Alleinerziehenden gaben an, sich oft einsam zu fühlen, verglichen mit 16.4% aller Befragten. Dieser Wert ist auch deutlich höher als bei alleine Lebenden (26.2%).[16]

Wichtig ist aus meiner Sicht: Die Zeitverwendungserhebung ist eine ungemein wichtige Quelle und gibt uns Anregungen, wo politisch anzusetzen wäre. Zum Beispiel wird offenkundig, dass das Kümmern um Kinder und pflegebedürftige Menschen Einzelne und Paare überlastet – eine ausgebaute soziale Infrastruktur und gemeinschaftliche Lösungen jenseits der Kleinfamilie liegen nahe. Oder das Einsamkeitsrisiko Alleinerziehender: Die Poliklinik-Initiative Freiburg baut eben aus diesem Grund ein Eltern-Kind-Café auf.[17] Es zeigt sich jedoch auch, dass die Zahlen soziale Prozesse und Strukturen nicht erklären. Sie können allenfalls darauf hinweisen, was es auf gesellschaftlicher Ebene zu verstehen gilt. Statistiken dürfen aber neben Gesprächen, eigenen Erfahrungen, Alltagswahrnehmung, der Auswertung politischer Prozesse usw. nur einer unserer Zugänge zum Feld sein, schon weil wir die Gesellschaft nicht nur verstehen, sondern auch verändern wollen. Aber schon das Verstehen selbst gelingt letztlich nicht ohne die Auseinandersetzung mit den Lebenssituationen der einzelnen Menschen in ihrer Konkretheit.


[1] Winker, Gabriele: Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft; transcript 2015

[2] Hauptquelle: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressekonferenzen/2024/zve2022/statement-zve.pdf?__blob=publicationFile. Die Verhältniszahlen sind, wenn nicht anders angegeben, selbst errechnet. Eventuelle Fehler sind meine eigenen.

[3] Die binäre Geschlechtsbenennung entspricht der binären Erfassung in der Statistik. Über nicht-binäre Personen gibt es keine Daten in dieser Erhebung. Ich habe nicht geprüft, ob das an den Vorgaben im Formular oder an der zu geringen Zahl von Antworten nicht-binärer Personen liegt.

[4] Diese Aussage gilt wie alle weiteren nur im Durchschnitt der genannten Gruppe. Weder über einzelne Personen noch über Untergruppen, soweit nicht ausgewiesen, lässt sich aus diesen Ergebnissen etwas ableiten.

[5] Dieser Trend ist seit Anfang der 90er durch die Zeitverwendungserhebung nachgewiesen und bisher gut belastbar. Damit wird überhaupt nicht in Frage gestellt, dass der Großteil der Arbeit unentlohnt ist. Erst recht gibt die Entwicklung keinen Grund für die Annahme, dass der Kapitalismus die unentlohnte Arbeit irgendwann irrelevant machen würde.

[6] https://doku.iab.de/forschungsbericht/2023/fb1823.pdf

[7] Vgl. das seitdem wieder steigende Erwerbsarbeitsvolumen: https://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/AZ_Komponenten.xlsx

[8] https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/erwerbstaetigenquoten-gebietsstand-geschlecht-altergruppe-mikrozensus.html

[9] https://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/AZ_Komponenten.xlsx

[10] https://equalcareday.org/mental-load/

[11] Wem hier Möglichkeiten fehlen: Die in FN 2 genannten Probleme gelten entsprechend auch hier.

[12] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressekonferenzen/2024/zve2022/statement-zve.pdf?__blob=publicationFile ; S.8

[13] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Zeitverwendung/Publikationen/Downloads-Zeitverwendung/zeitverwendung-5639102139004.html?nn=210184

[14] https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/kita-politik/bildungspolitik/1650/

[15] „Die Zahl der betreuten Kinder in Tageseinrichtungen ist im selben Zeitraum um 22 % gestiegen – von 3,21 Millionen im Jahr 2013 auf 3,93 Millionen in 2023. Der Anstieg ist vor allem auf den Ausbau der Betreuung unter Dreijähriger zurückzuführen: 721 600 Kinder unter drei Jahren wurden zuletzt in Tageseinrichtungen betreut, das waren 43 % mehr als zehn Jahre zuvor (503 900).“ (Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom Januar 2024) https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_N004_p002.html

[16] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressekonferenzen/2024/zve2022/statement-zve.pdf?__blob=publicationFile (S.12-14)

[17] https://care-revolution.org/aktuelles/ein-gesundheitszentrum-fuer-einen-solidarischen-stadtteil/