Care Revolution | Feministischer Generalstreik für Carearbeit im Baskenland – Ein Veranstaltungsbericht
zurück

Feministischer Generalstreik für Carearbeit im Baskenland – Ein Veranstaltungsbericht

Aktuelles – 03. Dezember 2025

Am 25. November hatte die Veranstaltungs-AG des Netzwerks Care Revolution in Kooperation mit Solidarisch Sorgen e.V. ein Referat mit anschließender Diskussion zum feministischen Generalstreik im November 2023 im spanischen Baskenland einschließlich der baskischsprachigen Gebiete Navarras organisiert, weil wir es für wichtig halten, dass diese Aktion nicht in Vergessenheit gerät.

Der Referent, Raul Zelik, ist Journalist und Buchautor, hat viele Kontakte in die baskischen sozialen Bewegungen und berichtete für das Neue Deutschland vor dem und während des Streiks. Er zeigte uns Bilder vom Streik am 30.11.2023, die bereits das Besondere demonstrierten: Die gesamte Aktion wurde aus der feministischen Bewegung heraus initiiert, fand in großen und kleinen Orten statt und wurde auch in die Betriebe getragen. Dabei wurden die Forderungen von einem feministischen Bündnis aufgestellt und von den beteiligten Gewerkschaften übernommen. Um zu verstehen, wie diese, für hiesige Verhältnisse kaum vorstellbare Dynamik zustande kommen konnte, waren Raul Zeliks Informationen an diesem Abend hilfreich:

Die feministische Bewegung in Spanien allgemein und im spanischen Baskenland gewann ab 2018 viel Kraft, als es in drei Jahren große 8.März-Streiks gab, die sich an Femiziden entzündeten – ein Thema, das in Spanien sehr offensiv politisiert und auch in die Mainstream-Medien getragen wurde. Bedeutsam ist zudem die baskische Unabhängigkeitsbewegung, die sich auch für andere Themen  gesellschaftlicher Emanzipation öffnete und in ländlichen Regionen ebenso wie in Städten vertreten ist. Insgesamt, so Raul Zelik, begreift sich die spanische Linke klarer als die deutsche als feministisch: Gender-Themen werden, auch in der Arbeiter*innenbewegung, nicht getrennt von „ökonomischen“ diskutiert. Auch im Streik war dies Thema: Wie du als alter Mensch versorgt bist, wie viel Zeit du für deine Kinder hast, das sind ebenso ökonomische Fragen wie dein Lohn – und deshalb mit demselben Recht Gegenstand eines Streiks.

Greba_feminista_orokorraren_kartela.jpg

Schließlich ist alleine schon die Tatsache, dass in Spanien von Gewerkschaften angemeldete politische Streiks legal sind, ein großer Unterschied. Dabei ist besonders die baskische Arbeiter*innenbewegung streikfreudig: Der Generalstreik im November 2023 war der sechsundzwanzigste seit 1979. Auch die Gewerkschaften selbst sind in Spanien anders als in Deutschland aufgestellt; es gibt nicht einen dominierenden Gewerkschaftsverband, sondern in ihrer politischen Ausrichtung unterschiedliche Richtungsgewerkschaften. Dazu kommen im Baskenland regionale Gewerkschaften (ELA und LAB), die tendenziell links von den sozialdemokratischen und ehemals kommunistischen Gewerkschaftsverbänden UGT und CCOO stehen und dort zahlenmäßig mindestens so bedeutend wie diese sind.

Der Generalstreik richtete sich auf eine Reihe von Forderungen, die beispielsweise beinhalteten: Die in großem Umfang privatisierten Care-Einrichtungen in staatliche oder genossenschaftliche Hand geben. Die Rechte der migrantischen Care-Arbeiterinnen, auch in Privathaushalten, stärken, einschließlich regulärer Verträge und eines Aufenthaltsrechts, das nicht an den Arbeitsplatz gekoppelt ist. Reduzierung der Lohnarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Eine Mindestrente von 1.080 € für alle. Erweiterung von Sorgebefugnissen über die Kernfamilie hinaus. In Interviews wurde öfter das Thema ‚Altenpflege‘ ins Zentrum gestellt, jedoch richtete sich der Großteil der Forderungen auf Care-Arbeit allgemein, als entlohnte und unentlohnte Arbeit.

Eine weitere Forderung hatte die Unterstützung der ökologischen Landwirtschaft zum Gegenstand. Diese letztere Forderung verweist auf zweierlei. Zum einen war die Bewegung hinter dem Streik nicht nur städtisch: So rief ein Kleinbäuer*innenverband mit zum Streik auf; das führte dazu, dass an Straßenblockaden auch schon mal eine Schafherde beteiligt war. Zum anderen ist die feministische Bewegung in Spanien und dem Baskenland stark ökofeministisch ausgerichtet: Das Motto des Streiks „denon bizitzak erdigunean“ – „das Leben aller im Zentrum“ – meinte durchaus auch nicht-menschliches Leben, wie Dokumente der Streikkoordination zeigen.

DBE_logoa.jpg

Die Streikorganisation begann schon im Februar 2022 mit einer feministischen Vollversammlung  in Gasteiz/Vitoria; von dort ausgehend wurden Forderungen formuliert und der Streik geplant. Ab Februar 2023 unterstützten einige Gewerkschaften den Streik. Raul Zelik führte, auch auf erstaunte Nachfrage, aus, dass die baskischen Regionalgewerkschaften häufig feministische Sekretariate haben, die Teil der Streikorganisation wurden und als Verbindung zwischen feministischer Bewegung und Gewerkschaft dienten. Ab dem Sommer 2023 gab es viele Stadtteil- und Betriebsversammlungen, in denen über die Streikziele diskutiert und für die Teilnahme mobilisiert wurde. Letztlich riefen über 1.500 Betriebsräte zum Streik auf; die Beteiligung am Streik hielt sich im üblichen Rahmen; der Referent sprach von einer Beteiligung von ca. 20%. Die größte Beteiligung war im öffentlichen Sektor, aber auch in der Industrie, z.B. in den Werken von VW und Daimler, wurde gestreikt. Immer wieder ist auch in Streikberichten zu lesen, dass für ein solches „betriebsfernes“ Thema diese eher durchschnittliche Beteiligung und auch die zuvor stattfindenden Diskussionen ein echter Erfolg waren.

Eine Frage im Anschluss an den Vortrag war: Was hat der Streik eigentlich bewirkt? Die Antwort: Dass starke Straßenaktionen mit einer nicht geringen Streikbeteiligung zusammengehen, dass Verbindungen zwischen feministischer Bewegung, Gewerkschaften, Bäuer*innen- oder Rentner*innen-Organisationen hergestellt und erprobt werden, ist alleine schon ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis. Dass von linken Parteien regierte Gemeinden nach kollektiven Care-Lösungen z.B. durch öffentliche Pflegeeinrichtungen, die Unterstützung von Genossenschaften Care-Arbeitender oder Mehrgenerationenhäuser suchen, ist nicht einfach eine Folge durchgesetzter Streikforderungen. Jedoch hängt es mit einer Verschiebung der Care-Debatten und mehr öffentlicher Aufmerksamkeit zusammen, für die der Streik als bedeutsam eingeschätzt wurde.

Greba_Feminista_Orokorreko_lehen_mobilizazioa_Iruñean.jpg

Die Situation migrantischer Care-Beschäftigter ging umfassend in die Streikforderungen ein. Der Referent erwähnte jedoch, dass migrantische Selbstorganisierungen kritisierten, zuwenig in die Organisation des Streiks einbezogen gewesen zu sein. Hier spielte auch die Sprachbarriere eine Rolle: Die baskische Linke ist nach wie vor stark vom Thema der Unabhängigkeit geprägt; auf Versammlungen baskisch zu sprechen, gehört zum Selbstverständnis. Zugleich sprechen viele Migrant*innen nur spanisch; Offenheit der Beteiligung und das politisch-kulturelle Selbstverständnis gerieten in Konflikt. Jedoch ist nach Raul Zeliks Wahrnehmung insbesondere die baskische Gewerkschaft LAB sehr bemüht, migrantische Beschäftigte einzubeziehen, auch dann, wenn sie nicht Gewerkschaftsmitglieder sind.

Unterm Strich: Als Teilnehmer*innen konnten wir viel lernen über die Kraft, die ein solcher, feministische und Arbeiter*innenbewegung vereinender Streik hat, schon dann, wenn er noch nicht der Streik ist, der alles lahmlegt. Zudem konnten die Teilnehmer*innen mitnehmen, welche Planung und Vorlaufzeit in der Organisation des Generalstreiks steckte. Umgekehrt zeigte die Veranstaltung, dass die vielen Diskussionen, gemeinsames Organisieren und gemeinsame Aktion zur Verankerung feministischer, care-politischer Forderungen in der Gesellschaft beitragen, ein Schritt dahin, dass irgendwann das „und“ in „feministische und Arbeiter*innenbewegung“ überflüssig wird.

Das spanische Motto des Streiks revolucionar las cuidados para cambiarlo todo – Sorge(arbeit) revolutionieren, um alles zu verändern, meint schließlich das, was wir auch mit Care Revolution meinen.

Ein Veranstaltungsbericht von Matthias Neumann.

Die ersten beiden Grafiken sind der Seite der Streikorga https://denonbizitzakerdigunean.eus/ entnommen. Das dritte Bild entstammt der baskischen Wikipedia-Seite https://eu.wikipedia.org/wiki/2023ko_azaroaren_30eko_Euskal_Herriko_greba_feminista_orokorra , ist von Asier Azpilikueta und steht unter der Lizenz CC BY-SA 4.0. Es zeigt eine Streikdemo in Irunea/Pamplona.

Einen informativen Artikel von Raul Zelik zum Streik gab es im Neuen Deutschland: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178317.baskenland-feministischer-streik-nicht-nur-bessere-arbeitsbedingungen.html

Wohnraum statt Waffen in Bielefeld 25. November 2025