Care Revolution | Geographiestudierende der Uni Bayreuth zu Besuch bei Care Revolution Rhein-Main
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Geographiestudierende der Uni Bayreuth zu Besuch bei Care Revolution Rhein-Main

Aktuelles – 25. Juni 2025

Ein Bericht von Elfriede Harth (Care Revolution Rhein-Main)

 

Zusammen mit ihrer Dozentin, Eva Isselstein, trafen sich eine Gruppe Studierende der Geographie der Uni Bayreuth mit einigen Aktiven der Regionalgruppe Care Revolution Rhein-Main zum Austausch über Care und Stadt, am konkreten Beispiel der Mainmetropole Frankfurt. Die Gruppe verbrachte einige Tage in Frankfurt, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie besuchten die gerade im Musum für angewandte Kunst stattfindende Ausstellung: “Yes, We Care - das Neue Frankfurt und die Frage nach dem Gemeinwohl” – die pionierhafte Stadtplanung im Frankfurt der 1920er Jahre, sprachen in verschiedenen kommunalen Instanzen vor und suchten auch den Austausch mit zivilgesellschaftlichen Aktiven zu Care.

 

Was sind die Themen, die Care-Aktive in einer Stadt umtreiben, welche Aktionen führen sie durch, mit wem vernetzen sie sich, auf welche Hindernissse treffen sie…..Bei einem gemeinsamen Büffet gingen wir diesen und anderen Fragen nach.

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Das Frankfurter ambulante Kinderhospiz hatte uns freundlicherweise seine Räumlichkeiten für das Treffen zur Verfügung gestellt. Eine Einrichtung in der Stadt, die Familien mit besonders pflegebedürftigen Kindern mit Rat und Tat zur Seite steht und ihnen in ihren Räumen ermöglicht, sich zu treffen, damit sich diese betroffenen Menschen kennelernen, austauschen und gegenseitig unterstützen können. Zusammenhalt Betroffener und das Gefühl der Zugehörigkeit sind in unserer extrem individualisierten Gesellschaft besonders wichtig. Amira, eine unserer Aktiven, ist Mitglied in diesem gemeinnützigen Verein. Ihr ältestes Kind hat eine lebensverkürzende schwer behindernde Krankheit.

 

Ihre konkrete Situation konnte als Beispiel dargestellt werden, wie wichtig eine dezidiert inklusive Stadtplanung wäre, die es leider in der Finanzmetropole so nicht gibt. So sind zwar Grundstücke und Mittel für  Prestigebauten wie die Europäische Zentralbank vorhanden, es gibt auch zwei öffentliche Wohnungsbaugesellschaften, die ABG, die der Stadt Frankfurt gehört, und die Nassauische Heimstätte, die mehrheitlich in der Hand des Landes Hessen und zu 30% der Stadt Frankfurt ist, aber die Stadt hat einen riesigen Defizit an Sozialwohnungen und erst recht an behindertengerechten Wohnungen, behindertengerechten öffentlichen Toiletten, behindertengerechtem ÖPNV usw. Ihr Sohn, der auf eine stationäre Unterbringung angewiesen ist, lebt nun in Wiesbaden, denn in Frankfurt gibt es keine Einrichtung für Menschen wie ihn. Gerade Menschen mit großer Sorgeverantwortung, wenn sie darüber hinaus auch nicht zu den finanziell Privilegierten gehören, die diese Verantwortung an (häufig migrantische) bezahlte Carearbeitende delegieren können, werden so besonders belastet.

 

Wohnen hat eine zentrale Bedeutung für die Reproduktion der Menschen. Und zum Wohnen gehört nicht nur ein Dach über dem Kopf. Zeit ist bekanntlich eine zentrale und nicht beliebig vermehrbare Ressource für gute Sorgearbeit, und so bedeutet die geographische Nähe aller Infrastrukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge eine weitere wichtige Bedingung, um diese kostbare Ressource Zeit nicht mit weiten Wegen zu vergeuden, die dann für die eigentliche Caretätigkeit fehlt.  Es müssten noch viel mehr Städte zur “Stadt der Viertelstunde” werden, d.h.  alles, was jemand für das alltägliche Leben braucht, sollte in 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein, wie es einige Städte wie Paris zu verwirklichen suchen. Das wäre ein wichtiger Schritt hin zu einer Care-zentrierten Wirtschaft und Gesellschaft. Dies ist auch einer der Gründe, warum sich unsere Regionalgruppe für das Thema Wohnen einsetzt und mit anderen Organisationen das Bündnis Mietenwahnsinn Hessen gegründet hat.

 

Als weiteres wichtiges Care-Thema für das Leben in der Stadt wurde der Kampf gegen den Klimawandel genannt, Mit der zunehmenden Erderwärmung wird ein Leben in einer versiegelten Stadt immer ungesünder. Auch hier ist uns Unterstützung von  Fridays For Future, Vernetzung mit der Transition Town-Bewegung, aber auch der Einsatz für ein Bedingungsloses Grundeinkommen wichtig. Erwerbsarbeit sollte nicht eine Notwendigkeit für die eigene Existenzsicherung sein, sondern nur geleistet werden, wenn sie einen sinnvollen Beitrag für das Zusammenleben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft erbringt. Menschen sollten zuallererst Zeit haben für die Tätigkeiten, die lebensnotwendig sind und Voraussetzung für alles andere in der Gesellschaft, nämlich Carearbeit. Da es hier zentral um menschliche Beziehungen geht, sind viele dieser Tätigkeiten nicht immer warenförmig organisierbar.

 

Mit einem Grundeinkommen und der Freiheit, selbstbestimmt zu entscheiden, wofür man seine Lebenszeit einsetzt, könnte die Produktion von Waren und Dienstleistungen gedrosselt werden, die die Hauptursache für den Verbrauch von Energie und Rohstoffen ist. Die Gesellschaft könnte dann gemeinschaftlich entscheiden, welche Produkte wirklich notwendig und wünschenswert sind.

 

Es kam die Frage auf, wer denn notwendige aber unliebsame Tätigkeiten ausüben würde, wenn die Menschen nicht mehr gezwungen wären, sich ihre Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit verdienen zu müssen. Wie würden denn diese Tätigkeiten gesellschaftich organisiert werden? Darauf bemerkte ein*e Studierende*r , solche Fragen wären ein Symptom der extremen Individualisierung, die unsere neoliberale Gesellschaft charakterisiert, wo jede Person sich nicht für die Gemeinschaft verantwortlich fühlt, sondern nur für die eigenen, ganz persönlichen Belange. Das läßt sich in der Tat z.B. am Umgang mit dem öffentlichen Raum erkennen, den viele Menschen nicht als Commons betrachten, das allen gehört und in dem man sich achtsam und rücksichtsvoll verhält, sondern als “nicht meins”, und den man z.B. bedenkenlos vermüllen kann.

 

Es wurde die Eigentumsfrage thematisiert, die für den Kapitalismus so zentral ist, die Probleme unseres politischen Systems, das oft zu weit weg ist von der Realität der Leute. Ebenso war Thema, dass Nähe, die Beziehung, das Miteinander, die Interdependenz, so zentral für Care ist.

 

Wir berichteten davon, dass Care Revolution die Idee von Care-Räten propagiert, wo sich sowohl Careverantwortliche als auch Menschen, für die sie sorgen, miteinander entscheiden, wie die Carebeziehungen gestaltet werden sollen, was benötigt wird, was wünschenswert ist, etc, und argumentierten, dass Basisdemokratie wichtig wäre.

 

Es kam der Einwand, der gegenwärtige Rechtsruck mache deutlich, dass man wichtige politische Entscheidungen nicht den Bürger*innen überlassen dürfte, denn in der Geschichte hätte man schon erlebt, dass sie sich zu leicht verführen lassen. Es sei vernünftig, sich auf Expert*innen zu verlassen. Doch auch, wenn (wissenschaftliche und andere) Expertise nicht ignoriert werden sollte, ist in einer Demokratie wichtig, dass Strukturen geschaffen werden, in denen alle mitentscheiden können.

 

Die zwei Stunden des Treffens gingen viel zu schnell vorbei. Wir hätten noch lange weiter diskutieren können. Wir hoffen, die Gruppe und jede*r einzelne Studierende hat sich ein wenig anstecken lassen von der Lust, sich für eine Care-zentrierte Gesellschaft einzusetzen.

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