Solidarität mit den streikenden Kita-Beschäftigten in Berlin!

Die neoliberale Politik nimmt seit Jahrzehnten, wer auch immer gerade an der Regierung ist wissentlich eine Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktur hin. Das trifft auch die Kitas, mit den erwartbaren Folgen. Zum einen für die Eltern: Nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung fehlen 430.000 Kita-Plätze.[1] Aber auch für die Beschäftigten: Bereits für die jetzt vorhandenen Plätze fehlen nach ver.di-Angaben 20.000 Fachkräfte.[2] Dieser Mangel macht krank. Die DAK stellt im Psychreport 2024 fest: „Dort, wo sich Menschen in ihrem beruflichen Alltag um das Wohlbefinden anderer kümmern und zudem noch Personalmangel herrscht, sind die Belastungen besonders hoch. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kitas und in der Altenpflege hatten 2023 mit 534 bzw. 531 Tagen je 100 Versicherte die meisten (psychisch bedingten) AU-Tage.“[3] Erkrankung, belastungsbedingte Teilzeitarbeit und Kündigungen erhöhen wiederum den Fachkräftemangel.

Die Kita-Beschäftigten der fünf städtischen Kita-Eigenbetriebe in Berlin haben jetzt beschlossen, die Reißleine zu ziehen: Seit dem 5.Juni sind sie immer wieder im Streik für einen Tarifvertrag Pädagogische Qualität und Entlastung, zuletzt vom 8. bis  12. Juli fünf Tage am Stück. Damit soll so, wie es auf den Pflegestationen vieler großer Krankenhäuser durchgesetzt wurde, vor allem durch eine verbesserte Personalbemessung eine bessere Arbeits- und Betreuungsqualität erreicht werden – im Interesse der Beschäftigten wie der Kinder und Eltern. In den Eigenbetrieben sind ca. 7.000 pädagogische Fachkräfte beschäftigt, ungefähr 20% der Erzieher*innen in Berlin.[4] Fast die Hälfte der dort Beschäftigten beteiligt sich am Streik. Neben einer verbesserten Fachkraft-Kind-Relation sind Anrechnung von Krankheits- und Fortbildungstagen auf den Personalschlüssel, Notfallpläne und Ende der Anrechnung Auszubildender auf den Personalschlüssel zentrale Forderungen.

Dabei geraten sie unter massiven Druck: „Sozial“senator Evers redet in stammliger Wortwahl von „Sinnlos-Streiks auf dem Rücken der Kinder und Eltern“[5], die Leitungen von vier der fünf nach Stadtregionen getrennten Eigenbetriebe starteten eine Petition gegen den Streik bei change.org. Dabei werden die Argumente vorgebracht, die sich bereits im Fall der Krankenhausstreiks als falsch erwiesen haben: Eines ist, dass die Nutzer*innen der Einrichtungen getroffen würden. Dieses Totschlagargument konterten schon die Krankenhausbeschäftigten mit dem Hinweis, dass das Gesundheitsgefährdende der Normalzustand ist. Dass Eltern und Kinder im Streik belastet werden, ist zweifellos richtig. Gerade deshalb ist die breite Unterstützung des Streiks wichtig, damit schnell Erfolge erzielt werden. Denn der Streik wird nicht aus Spaß an der Freude geführt – wobei wir den Streikenden viele freudige Momente wünschen – , sondern er wird geführt, weil sich ohne ihn nichts ändert. Ein zweites zentrales Argument ist, dass Gesundheitsschutz wahlweise gar nicht oder nicht in einem Tarifverbund über einen Tarifvertrag geregelt werden könne. Doch, kann es: Die Krankenhausbetriebe haben es vorgeführt, beispielsweise die kommunalen Vivantes-Kliniken in Berlin, die genau zu diesem Zweck einen Tarifvertrag abgeschlossen haben.

Der Ko-Kreis des Netzwerks Care Revolution will den streikenden Beschäftigten seine Solidarität ausdrücken. Deshalb das untenstehende Schreiben:

Liebe kämpfende Kita-Beschäftigte,

von ganzem Herzen unterstützen wir, der Koordinierungskreis des Netzwerkes Care Revolution, Eure Forderung nach einem Tarifvertrag Pädagogische Qualität und Entlastung. Wir sehen mit Euch die Notwendigkeit, dieser Forderung durch einen Streik Nachdruck zu verleihen, und danken euch für euer Engagement!

Die zunehmende Überlastung führt zu Frustration, Erschöpfung und einer zunehmenden Zahl psychischer Erkrankungen und sie verstärkt den Fachkräftemangel durch den Berufsausstieg ausgebildeter Fachkräfte, unter dem nicht nur Beschäftigte, sondern auch die betreuten Kinder zu leiden haben. Ihr sagt „Es reicht jetzt!“ und fordert einen Tarifvertrag Pädagogische Qualität und Entlastung.

Vom Senat als Tarifgegner und einem Großteil der Leitungen der Eigenbetriebe kommen die erwartbaren Anfeindungen. Fast tragisch ist es jedoch, wenn auch Eltern, die euer Streik in Schwierigkeiten bringt, euch die Unterstützung entziehen.

Dabei sehen wir: Für viele Eltern ist die Doppelbelastung aus Job und familiärer Arbeit schon bei geöffneten Kitas schwer zu stemmen; sie benötigen eher mehr als weniger Entlastung. Doch von den streikenden Krankenhausbeschäftigten, die ähnlich wie ihr jetzt massiv für ihre Streiks kritisiert wurden, haben wir gelernt: Gesundheitsgefährdend ist nicht der Streik, sondern der Normalzustand im Krankenhaus. Ähnlich in eurem Streik: Der Entwicklung und Lebensfreude der Kinder, um die ihr euch kümmert, ist die Unterbesetzung abträglich, nicht der Versuch, durch Arbeitskampf daran etwas zu ändern, wenn alle anderen Wege versperrt werden!

Letztlich sind die Angriffe eine Bestätigung für euch: Wenn fünf Tage kontinuierlicher Streik als unzumutbare Belastung bezeichnet werden, zeigt das, wie wichtig und unverzichtbar eure Arbeit ist. Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen, ausreichend Zeit für Weiterbildung, Ausbildung, die Zeit des Lernens und nicht Quelle billiger Arbeitskraft ist – eure Forderungen, würden sie erfüllt, helfen den Kindern ebenso und auch den Eltern, die sich schließlich auch Kitas wünschen, in denen ihre Kinder gut aufgehoben sind. Was für die Pflegekräfte im Krankenhaus gilt, gilt auch für die pädagogischen Fachkräfte: „Mehr von euch ist besser für alle!“

Zum Konsens unseres Netzwerks Care Revolution gehören zwei Grundannahmen. Erstens: Die Bedürfnisse von Menschen, die sich um andere kümmern, werden systematisch ignoriert, gleich, ob sie dies im Job, in Familien oder im „Ehrenamt“ tun. Das ist in einem so reichen Land – einem Land mit so vielen Reichen – nicht hinnehmbar. Wir brauchen eine bedarfsgerechte, allen zugängliche soziale Infrastruktur! Ihre Finanzierung durchzusetzen, ist eine große, gemeinsame Aufgabe.

Zweitens: Als entlohnt und unentlohnt Sorgearbeitende haben wir nur eine Chance, etwas zu verändern, wenn wir zusammenhalten und uns in unseren Kämpfen unterstützen. Deshalb: Liebe Streikende, Vielen Dank! Haltet durch! Und: Liebe Berliner*innen mit und ohne Kinder, bitte unterstützt den Streik – es geht auch um eure Interessen!

Der Koordinationskreis des Netzwerks Care Revolution, 18.07.2024


[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2023/november/mehr-plaetze-und-bessere-qualitaet-in-kitas-bis-2030-wenn-jetzt-entschlossen-gehandelt-wird

[2] https://www.verdi.de/themen/arbeit/++co++35e164b8-6e81-11ee-95e3-001a4a160129

[3] https://www.dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/psychreport-2024_57364#rtf-anchor-deutliche-unterschiede-zwischen-einzelnen-branchen-und-berufsgruppen

[4] https://erziehung-bildung-sozialearbeit-bb.verdi.de/tarifkampagne

[5] https://www.tagesspiegel.de/berlin/sinnlosstreiks-auf-dem-rucken-der-kinder-und-eltern-senat-ohne-verstandnis-fur-funftagigen-warnstreik-in-berliner-kitas-11980349.html