Bericht von Jette Hausotter & Kristin Ideler
Vom 30.9. bis 4.10.2018 fand in Belgrad ein internationales Austausch- und Vernetzungstreffen für Feminist*innen und LGBTIQ in linken sozialen Bewegungen statt. Es nahmen etwa 90 Menschen aus vielen Ländern Ost-, Süd- und Westeuropas sowie aus Russland, USA und einigen lateinamerikanischen Ländern teil. Eingeladen hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die auch Kooperationspartnerin des Care Revolution Netzwerkes ist. Aktive unseres Netzwerkes waren in verschiedenen Workshops vertreten.
Hintergrund und Ziel des Treffens
Die Organisator*innen verwiesen in ihrer Einladung auf das derzeitige Erstarken von rechten Regierungen und rechtspopulistischen Politiken, die sich selbst als Antwort auf die Zumutungen des Neoliberalismus darstellen und dabei rassistische, sexistische und klassistische Spaltungen in der Gesellschaft vorantreiben. Gleichzeitig gebe es derzeit vielfältige Gegenbewegungen und gerade gegen die Angriffe auf Frauen*- und LGBTIQ-Rechte gibt es weltweit immer öfter sehr große und erfolgreiche feministische Mobilisierungen. Vor diesem Hintergrund sollte das Treffen auf verschiedenen Feldern stattfindende feministische Kämpfe um Care-Arbeit, Ökonomie, Ökologie und Körperpolitiken zusammenbringen. Das Ziel: voneinander lernen, um Feminismus und LGBTIQ-Themen in den diversen linken Bewegungen und politischen Handlungsfeldern zu stärken, in denen die Teilnehmenden aktiv sind. Das sehr große und sehr intensive Treffen bot außerdem eine tolle Gelegenheit, um transnationale Netzwerke und Praxen zu entwickeln, insbesondere zwischen Ost und West.
Feministische Klassenpolitik als vielfältige Emanzipationsbewegung: eine Antwort auf die Krise sozialer Reproduktion
Wir erleben in der EU und den EU-Beitrittsländern derzeit eine neoliberale Wirtschaftspolitik, die auf Einsparungen in allen sozialen Bereichen setzt und die besonders zu Lasten von Frauen und von ausgegrenzten oder marginalisierten Gruppen geht. Auf der Tagung haben verschiedene Autor*innen ihre sehr empfehlenswerten Länderstudien zu den Auswirkungen dieser Austeritätspolitik auf Frauen vorgestellt. Feministische Klassenpolitik wurde auf der Tagung als eine explizite Gegenbewegung zu dieser Austeritätspolitik eingeführt. Barbara Fried vom Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Aktive im Care Revolution Netzwerk, betonte in diesem Zusammenhang, dass eine feministische Klassenpolitik danach strebt, die Krise sozialer Reproduktion zu überwinden und alle Herrschaftsverhältnisse aufzuheben. Auf der Tagung wurde dieser „intersektionale“ Ansatz gleich praktisch umgesetzt, indem ein sehr vielfältiges Spektrum an Erfahrungen, Lebensrealitäten und Kämpfen vertreten war. Von regional und gesellschaftlich ganz verschiedenen linken (queer-)feministischen Standpunkten ausgehend – dabei aber ganz überwiegend mit praktischem, aktivistischem Hintergrund – wurden rechtliche und soziale Fragen und verschiedene Herrschaftsverhältnisse analysiert. Jeder Tag stand im Zeichen eines Schwerpunktes.
Am ersten Tag standen verschiedene Bereiche feministischer Klassenpolitik im Fokus und es gab Workshops zu Intersektionalität, zu feministischer Ökologie, und zu feministischer Ökonomiekritik. Am zweiten Tag ging es um Arbeit und Austerität. In den Workshops wurden verschiedene feministische Organisierungen in der bezahlten und unbezahlten Arbeit vorgestellt: Frauenstreiks in Spanien und Lateinamerika, Frauenpolitik in Gewerkschaften in Deutschland, Kroatien und Mazedonien sowie Arbeitskämpfe in der prekären Lohnarbeit (hierunter Krankenpflege in Kroatien, Textilbranche in der Ukraine, undokumentierte migrantische Frauenarbeit in Griechenland). Der dritte Tag hatte „Reproductive Justice“ (dt.: reproduktive Gerechtigkeit) zum Thema. Dieser in den USA von Schwarzen Feministinnen geprägte Begriff bedeutet eine Verbindung von reproduktiven Rechten, insbesondere dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch, mit sozialen Rechten, z.B. der Unterstützung von Eltern und Kindern unabhängig von sozialer Herkunft. In den Workshops ging es um linke Ansätze gegen geschlechtsspezifische Gewalt, Kämpfe für Abtreibungsrechte, Ansätze für die Verbesserung der Situation von Care-Arbeitenden und Care-Empfangenden sowie um LGBTIQ-Rechte und eine emanzipatorische Familienpolitik.
Eine linke Feminisierung der Politik bedeutet eine radikale Demokratisierung
Ein Querschnittsthema war die Frage, welche Erwartungen die Teilnehmenden in eine Feminisierung der Politik setzen. Dazu gab es eine Filmvorführung von „Alcaldessa – Ada for Mayor“, eine Dokumentation über den Wahlkampf der jetzigen Bürgermeisterin Barcelonas Ada Colau von der Liste “Barcelona en Comú“. Dies ist eine Plattform lokaler sozialer Bewegungen, die radikaldemokratische, feministische Politik in die Institutionen bringen wollen. Der Film zeigt zwar den Wahlerfolg von Colau, aber auch die Hürden, mit denen sich eine kooperative politische Organisierung in der repräsentativen Demokratie auseinandersetzen muss und die sexistischen Strukturen, gegen die eine Feminisierung der Politik ankämpft.
Zum gleichen Thema fand an einem Abend eine öffentliche Podiumsveranstaltung in einem alternativen Kulturzentrum in Belgrad statt. Es diskutierten: Sarah Leonard (Women’s Strike, USA), Jelena Miloš (Zagreb je NAŠ, Kroatien), Ángela Rodríguez “Pam” (En Marea – Unidos Podemos, Spanien) und Helena García Jiménez (Barcelona en Comú, Spanien). Dabei wurde deutlich, dass eine linke Feminisierung der Politik nicht einfach heißt, mehr Frauen in politischen Ämtern zu haben, sondern eine Veränderung des patriarchalen Charakters von Politik durch Formen radikaler Demokratie: horizontal statt hierarchisch, inklusiv statt kompetitiv, Care ins Zentrum auch des eigenen Handelns zu rücken, z.B. durch Rücksicht auf Sorgearbeitspflichten der Aktivist*innen.
Sorgearbeit im Zentrum einer feministischen Klassenpolitik
Während der fünf Tage wurden viele Themenstränge gekreuzt, aber notwendigerweise auch parallel vertieft. Ein Strang widmete sich beispielsweise dem aus einer linken feministischen Sicht heraus notwendigen Paradigmenwechsel in Ökonomie und Politik, für den auch das Care Revolution Netzwerk steht.
Die feministische Ökonomin und Aktivistin Sandra Ezquerra aus Barcelona kritisierte in ihrem Vortrag, dass die vorherrschenden Wirtschaftswissenschaften die unbezahlte Sorgearbeit völlig unzureichend behandeln und forderte, die soziale Reproduktion ins Zentrum ökonomischer Analyse und Politik zu stellen. Sie zeigte Daten aus Spanien zur unterschiedlichen Zeitverwendung von Männern und Frauen und verwies auf den Zusammenhang mit der ungleichen Verteilung von Einkommen und gesellschaftlicher Teilhabe. Im Hinblick auf das politische Handeln berichtete sie davon, wie unter der aktuellen Regierung von „Barcelona en Comú“ eine Demokratisierung von Sorgearbeit angestrebt wird. Dabei bezog sie sich auf eine von ihr mit verfasste Auftragsstudie der Regierung samt Handlungsempfehlungen: Die lokale Care-Politik wurde dazu in der Wirtschafts- statt in der Sozialverwaltung angesiedelt. Das Ziel ist es, Menschen als Care-Gebende und Care-Empfangende im Lebensverlauf zu unterstützen. Außerdem sollen langfristig solidarische Modelle der Verteilung von Arbeit, Wohlfahrt und Teilhabe etabliert werden, beginnend mit dem Ausbau sozialer Infrastrukturen und einer verstärkten Aufmerksamkeit für Sorgearbeit als Fundament der Gesellschaft.
Diese Themen wurden dann in einem Workshop vertieft (“The work that makes all work possible” – Feminist struggles around care work”), in dem Jette Hausotter aus Berlin das Care Revolution Netzwerk als Organisierungsansatz vorstellte. Außerdem stellte Rafaela Pimentel aus Spanien die Selbstorganisation von Hausangestellten Territorio Doméstico vor. Sie sind Migrant*innen in Madrid, die unzureichenden Zugang zu Arbeitsrechten und sozialen Rechten haben, und sie wehren sich gegen die starke Ausbeutung in ihrer Branche unter dem Slogan: „Weil sich die Welt ohne uns nicht bewegt“. Sie haben bereits sozialrechtliche Verbesserungen erstritten und engagieren sich auch stark in der feministischen Bewegung, z.B. beim Frauenstreik, für eine veränderte gesellschaftliche Organisation von Sorgearbeit, in der ausbeuterische Bedingungen keinen Platz haben. Ana Vračar von der Organisation BRID sprach über Strategien und Schwierigkeiten einer Organisierung von Krankenpfleger*innen in Kroatien, deren Arbeitsbedingungen sich durch die stattgefundene neoliberale Privatisierung massiv verschlechtert haben. Die Pfleger*innen müssen aus einer wenig machtvollen Situation heraus agieren, aus einer Vereinzelung insbesondere in der ländlichen Krankenpflege, die von hausärztlichen Praxen bzw. den dort individuell angestellten Pfleger*innen geleistet wird.
In diesem Care-Arbeits-Workshop wurde über die Schwierigkeit gesprochen, Vereinzelung zu überwinden sowieso über die Erfahrungen damit, gegenseitige praktische Unterstützung mit politischem Aktivismus zu verbinden. Außerdem wurde die Anwerbung von Alten- und Krankenpflegekräften aus Osteuropa und dem globalen Süden zur Lösung der „Pflegekrise“ im Westen kritisch diskutiert, unabhängig davon, ob es sich um formelle oder informelle Migrations- und Arbeitsverhältnisse handelt. Das heißt nicht, sich gegen Migration zu wenden, sondern Verbesserungen in der bezahlten Pflege- und Hausarbeit und einen Ausbau sozialer Infrastrukturen unabhängig vom Status bzw. der Staatsangehörigkeit zu erkämpfen – und die Austeritätspolitik zu stoppen.
In dem Workshop „Women United: Feminist approaches to trade unions“ wurden die verschiedenen Praktiken einer feministischen Klassenpolitik miteinander in Diskussion gebracht. Tina Tešija von BRID stellte die Frauengewerkschaftsschule (women´s trade union school) vor. Hier kommen Gewerkschafter*innen und Feminist*innen über aktuelle arbeits-, sozial-, und familienpolitischer Themen miteinander in Austausch und eignen sich zudem praktische Fertigkeiten im Halten von Reden und Führen von Arbeitskämpfen an. Es wurde von mehreren der Referierenden hervorgehoben, wie zwiespältig die Rolle von Frauen* in Gewerkschaften nach wie vor ist: Feministische Perspektiven, welche Care ins Zentrum stellen, werden in gewerkschaftlichen Kämpfen zwar dringend benötigt, aber gleichzeitig können die Widerstände enorm sein und es ist nicht selbstverständlich, dass Gewerkschaften feministische Kämpfe, z. B. um Körperpolitiken, unterstützen. Klementina Ristovska vom Sozialen Zentrum „Dunja“ in Skopje in Mazedonien berichtete, wie Arbeitskämpfe von Näher*innen durch den feministischen Zusammenhang im Zentrum unterstützt werden u. a. durch solidarische Kinderbetreuungsstrukturen, Geldsammlungen sowie Solidaritätsaktionen. Hier geht es darum, die Kampfbedingungen der Frauen* in einer nach wie vor partriarchal, klassistisch und rassistisch geprägten Arbeitswelt zu verbessern und feministische Forderungen und gewerkschaftliche Kämpfe praktisch zu verbinden.
Aus Deutschland berichtete Kristin Ideler, ver.di Gewerkschaftssekretärin in Hessen und Aktive im Care Revolution Netzwerk, über die Streikauseinandersetzungen im Sozial- und Erziehungsdienst. Sie zeigte auf, wie Frauen* in dieser Streikbewegung die Gewerkschaft ‚von unten‘ aufgemischt haben. Ebenso hat die Auseinandersetzung im Kontext der Care Revolution eine große Aufmerksamkeit erfahren und es wurde deutlich, dass die oben beschriebene care-zentrierte Politik zwar in den Gewerkschaften angekommen ist, aber ihre feministische Transformationsperspektive sich auch bei den Forderungsaufstellungen für künftige Kämpfe widerspiegeln muss. Marina Ivandić, die Moderatorin des Workshops und ebenfalls Mitglied von BRID und auch von der Croatian Road Workers‘ Trade Union, hob hervor, wie wichtig feministische und auf linke Klassenpolitik orientierte Bildungsarbeit in Gewerkschaften ist. Die vorgestellten Kämpfe und Projekte verbindet, dass sie Feminist*innen innerhalb und außerhalb von Gewerkschaften miteinander in Diskussion gebracht haben und daraus auch gemeinsame Bündnisse für konkrete Kämpfe resultierten.
Es geht weiter!
In diesen beiden Workshops und in vielen weiteren Gesprächsrunden waren die im Care Revolution Netzwerk entwickelten Ansätze quasi in aller Munde. Es war ermutigend zu erleben, dass unsere Ideen in ganz ähnlicher Weise an vielen Orten ebenfalls erdacht und weiterentwickelt werden: Sorgearbeit ins Zentrum linker Politik zu bringen und dazu solidarische Verbindungen zwischen bezahlten und unbezahlten Sorgearbeitenden und Sorgeempfänger*innen aufzubauen. Der Austausch über politische Ansätze hat gezeigt: Der Frauen*streik (ab 2019 auch in Deutschland), Care Revolution, Lohnarbeitskämpfe und Migrationskämpfe haben unterschiedliche Themen und Schwerpunkte, sie beziehen sich unterschiedlich auf Arbeit und auf Identität, aber sie gehören als feministische, antirassistische Strategien für eine befreite Gesellschaft zusammen.
Die Gelegenheit, sich in einem internationalen, linken, feministischen Kontext über die Umsetzung auszutauschen, war für viele ein Gewinn. Nicht zuletzt wurde diese Gelegenheit genutzt, um über eine verstärkte politische Vernetzung entlang der „Care Chains“, also der globalen Migrationsketten in der Sorgearbeit zu sprechen. Wir haben transnationale Solidarität und antirassistische Care-Politiken gemeinsam auf die zukünftige Agenda gesetzt und werden in 2019 gemeinsam daran arbeiten unsere Kämpfe weiterzuentwickeln und gemeinsam wirkmächtig zu werden als linke, (queer-)feministische Internationalist*innen!