Am Samstag, 15.04.23, haben wir unser halbjährliches Care Revolution-Netzwerktreffen als Online-Veranstaltung durchgeführt. Wir waren diesmal 16 Leute aus fünf Regionalgruppen und anderen Gruppen und Städten. Offensichtlich lag der Termin nicht so ganz günstig; aus drei Regionalgruppen schaffte es leider niemand zum Treffen, so dass sie absagen mussten.
In diesem kleineren Rahmen nutzten wir den Tag zu einer gemeinsamen Bestandsaufnahme: Wie sind wir als Netzwerk Care Revolution jetzt, neun Jahre nach der Gründung 2014, aufgestellt? Dabei starteten wir wie gewohnt mit einer Vorstellungs- und Kennenlern-Runde.Diesmal waren die anschließenden Berichte von der überregionalen Ebene ausführlicher als bei den meisten Treffen zuvor. Denn die Gründung des Vereins Solidarisch Sorgen hat stattgefunden, und die Ausschreibung von zwei halben Stellen für dessen Geschäftsstelle ist auch über den Verteiler des Netzwerks gegangen. Durch die Kooperation der Geschäftsstelle des Vereins mit dem Netzwerk Care Revolution und seinen Gruppen wird auch die Sichtbarkeit des Netzwerks gestärkt werden.
Im Hauptteil unseres Treffens versuchten wir eine zweifache Bestandaufnahme. Zum einen nach innen blickend: Was macht für uns den Kern des Projekts Care Revolution aus; was funktioniert für uns bei unserer Zusammenarbeit über Städte und Gruppen hinweg; was sollte verändert werden? Zum anderen nach außen blickend: Seit 2014 hat sich einiges an den Verhältnissen verändert, unter denen wir tätig sind. Es gibt Erfolge, aber vieles – Klimakatastrophe, näher rückende Kriege, Einfluss völkisch-autoritärer Politik usw. – ist auch bedrohlicher geworden. Was bedeutet das für uns? Die zweistündige Aussprache in Kleingruppen lässt sich kaum hinreichend darstellen. Ein paar zentrale Punkte sollen dennoch genannt werden:
Eine Stärke von Care Revolution ist es, mit ganz unterschiedlichen Gruppen von Menschen ins Gespräch zu kommen. Grundlage dafür ist ein weiter Blick. Der wird dadurch gefördert, dass wir innerhalb der und zwischen den Gruppen im Netzwerk so unterschiedlich aufgestellt sind, dass wir in Bündnissen vor Ort mit vielen anderen Organisationen zusammenarbeiten, dass wir unentlohnte und entlohnte Sorgearbeit gleichermaßen im Blick haben, dass wir sehen, dass alle Menschen auf Sorgebeziehungen angewiesen sind, dass Care-Arbeit in ihrer Vielschichtigkeit thematisiert wird. Zugleich kommt aber gerade bei Netzwerktreffen auch immer wieder zur Sprache, welche Menschen und Zusammenhänge wir häufig übersehen, etwa die Situation von Migrant*innen oder Leben im Dorf.
Zudem berühren die scheinbar kleinen und individuellen Erfahrungen im Zusammenhang mit der jeweiligen Care-Situation häufig existenzielle und gesellschaftliche Fragen. Wir stoßen immer wieder und zuletzt immer häufiger darauf, dass Sorgebeziehungen kaum noch thematisiert werden können, wenn Ökologie, Krieg und Frieden, Flucht und Migration oder die Veränderung von sozialen Beziehungen durch Jahrzehnte Neoliberalismus nicht in den Blick genommen werden. Sich den Zusammenhängen zu öffnen und offen für neue Bündnisse zu sein und zugleich die Sensibilität für den kleinen, scheinbar rein privaten Rahmen zu haben, in dem sich so viel Sorgearbeit abspielt, ist eine Herausforderung für uns.
Die Vielschichtigkeit unseres Themas wurde schließlich auch deutlich, als einerseits zu Recht betont wurde, dass es etwas Wunderschönes sein kann, füreinander Sorge zu tragen. Dies sollten wir immer im Blick behalten, wenn wir über Sorgearbeit sprechen. Gleichzeitig ist unter den gegebenen Bedingungen Sorgearbeit in ihrem Übermaß und mit mangelnder Unterstützung eine Quelle von (Alters-)Armut, Erschöpfung und Gewissensbissen. Drittens werden insbesondere Frauen unter Anrufung der Norm, dass Sorge für sie schön und natürlich zu sein habe, in die Überlastungssituationen gedrängt. An diesem Beispiel erleben wir direkt, wie wichtig es ist, die Komplexität hinter scheinbar ganz einfachen Aussagen im Blick zu haben.
Einzelne Aspekte vertieften wir am Nachmittag in Arbeitsgruppen: Was meinen wir mit dem „Revolution“ in der Care Revolution – was muss sich grundlegend verändern? Weiter tauschten Aktive aus drei Regionalgruppen ihre Erfahrungen mit der Teilnahme an friedensbewegten Aktionen zum Krieg in der Ukraine aus. Schließlich ging es um Ideen für Bildungsangebote im Rahmen des Netzwerks und befreundeter Gruppen und Leute sowie um den konstruktiven Umgang mit den eigenen Unklarheiten angesichts der genannten komplexen Zusammenhänge.
Zum Abschluss die Verabredungen: Unter anderem der Wunsch, mit einer groß angelegten Konferenz und/oder einer Kette von Aktionen auf 10 Jahre Care Revolution aufmerksam zu machen. Dieses Thema wird wie alles, was überregional wichtig ist, im Ko-Kreis weiterbesprochen werden.