Klimagerechtigkeit, Vergesellschaftung & Care

Das Care Revolution Netzwerk war an der Vorbereitung der Konferenz Let’s socialize – Vergesellschaftung als Strategie für Klimagerechtigkeit beteiligt. Darüber hinaus haben wir zum Auftakt des Care-Strangs auf der Konferenz einen Input zur Verbindung von Care, Klima und Vergesellschaftung gehalten. Im Anschluss an den Input hat die Kampagne Sorge ins Parkcenter das Konzept der Sorgenden Städte vorgestellt. Aus Platzgründen wurde ein ähnlicher Input in zwei verschiedenen Räumen gehalten. Dies ist die verschriftlichte Version von Liska (WiC) und Kirsten (Care Revolution Leipzig):

Vergesellschaftung im Care-Bereich als Beitrag zu mehr Klimagerechtigkeit

Zu Beginn der Planungen zur Konferenz „Let’s Socialize“- Vergesellschaftung als Strategie für Klimagerechtigkeit wurde diskutiert, ob Care überhaupt ein eigenständiger Strang auf der Konferenz sein soll. Denn: die Einsparung von CO2-Emissionen durch die Vergesellschaftung von Krankenhauskonzernen oder Pflegeheimen ist im Vergleich zur Vergesellschaftung von RWE oder VW relativ gering. Wir haben uns trotzdem für den Care-Strang entschieden, da Care ein zentraler Bestandteil einer Bewegung sein muss, die Klimagerechtigkeit und Vergesellschaftung zusammendenkt. Denn wir glauben, dass ein gutes Leben für alle in einer Gesellschaft, die nicht weiter ihre Lebensgrundlagen zerstört, nur möglich und attraktiv ist, wenn Menschen versorgt, unterstützt und sicher sind und durch tragfähige Sorgebeziehungen miteinander verbunden sind. Eine klimagerechte, nicht imperiale Welt ist ohne Care nicht denkbar. Dabei muss Care unserer Ansicht nach in jeder Klima- und Vergesellschaftungskampagne Berücksichtigung finden. Denn im Zentrum emanzipatorischer Projekte sollte immer die Frage stehen, wie Bedürfnisse aller erfüllt werden können und wie dies verallgemeinerbar ist.

Was meinen wir mit Care?

Was meinen wir mit Care oder, synonym dazu, Sorge? Es geht aus unserer Sicht erstens um Sorgearbeiten, d.h. Tätigkeiten, bei denen sich Menschen direkt um die Bedürfnisse anderer Menschen kümmern, z.B. im Bereich Gesundheit, Pflege, Assistenz, Erziehung, Bildung, Wohnen oder Hausarbeit und den verbundenen planenden („mental load“) und affektiven Arbeiten sowie die Sorge für sich selbst. Zweitens ist das Bewusstsein bzw. die Haltung wichtig, dass alle Menschen im Laufe ihres Lebens auf Care angewiesen sind und dass es für Menschen existenziell ist, Sorge zu erfahren und in Sorgebeziehungen eingebunden zu sein, zu denen immer alle Beteiligten beitragen, trotz aller Asymmetrie. In diesen Beziehungen sollten also die Bedürfnisse aller wahrgenommen und berücksichtigt werden. Eine sorgende Haltung richtet sich auch auf die Beziehungen zur nichtmenschlichen Mitwelt. In dieser Hinsicht beinhaltet Care auch Care fürs Klima.

Care-Arbeit

Care-Arbeit wird vorwiegend von Frauen und queeren Menschen übernommen. Ca. 75 % der Care-Beschäftigten sind Frauen, gut 2/3 der unentlohnten Haus- und Betreuungsarbeit werden von Frauen geleistet, besonders deutlich wird das Gefälle in Situationen mit besonders hoher Belastung: So sind gut 80% der Alleinerziehenden weiblich. Dabei wird ein Großteil der Care-Arbeit unentlohnt geleistet. Das hohe Maß an unentlohnten Sorgeaufgaben führt häufig zu Überlastung, finanzieller Abhängigkeit und Armut, gerade auch im Alter. Wer es sich individuell leisten kann und/oder keine Alternative sieht, lagert häufig Sorgearbeiten in Haushalt, Kinderbetreuung oder Pflege an zumeist migrantische Care-Beschäftigte aus. Z.B. wird die häusliche Betreuung Pflegebedürftiger häufig von Personen aus Osteuropa übernommen. Viele Care-Jobs sind weiterhin schlecht bezahlt und es herrschen fast durchweg prekäre Arbeitsbedingungen, die durch Fachkräftemangel verschärft werden. Dabei ist abzusehen, dass sich diese Situation noch zuspitzen wird, da der Bedarf z.B. in der Pflege in den nächsten Jahren deutlich steigen wird; zugleich gehen im selben Zeitraum viele Pflegekräfte in Rente. Besonders in schlecht bezahlten Care-Jobs sind Migrant*innen überproportional vertreten. Hinzu kommt, dass viele Care-Bereiche auf die Möglichkeit der Kapitalverwertung ausgerichtet sind; dies wirkt sich nicht nur auf die Arbeitsbedingungen aus, sondern auch Versorgungsengpässe und Fehlversorgung sind die Folge. Ganz offensichtlich ist also für Menschen, in deren Leben Care großen Umfang annimmt, unter Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschaft und angewiesen auf renditeorientierte Unternehmen schlecht gesorgt.

Die Klimakrise und die Carekrise gehören zusammen

Die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und auch von Sorgearbeit ist im Kapitalismus strukturell angelegt. Beides gilt als scheinbar dauerhaft verfügbare Ressource, die unbegrenzt in Anspruch genommen werden kann. Sichtbar ist in diesem System nur die auf Warenproduktion und -handel fixierte Wachstumswirtschaft. Unentlohnt, im Kontext von Familien, sozialen Netzen und sogenanntem Ehrenamt, findet die Arbeit statt, die nicht gut verwertet werden kann und zeitlich nicht verdichtet werden kann. Dabei ist das System darauf angewiesen, dass es Sorgearbeit gibt. Wenn niemand Kinder großzieht, Essen zubereitet, Freundschaften pflegt, Netzwerke aufbaut oder Haushalte führt oder Gebäude und Straßen reinigt, würde keine Gesellschaft lange überlegen. Und sie ist auch darauf angewiesen, dass es Luft, Licht, Wasser und Rohstoffe gibt. Die Profitlogik in der bezahlten Sorgearbeit führt zudem zu einer Senkung der Kosten aller Abläufe in Einrichtungen und damit zu Personalabbau, erhöhtem Druck „schneller“ zu Arbeiten und fehlender Ausstattung. Mit alldem zerstört der Kapitalismus soziale Beziehungen ebenso wie er die Reproduktionsbedingungen von menschlichem Leben, allen Lebewesen und Ökosystemen zerstört. Insofern ist das Gesellschaftssystem Ursache von Krisen sozialer und ökologischer Reproduktion.

Auch in Bezug auf die Auswirkungen der Klimakatastrophe sind Care und Klima eng miteinander verwoben. Durch die Folgen des Klimawandels steigt zum einen der Bedarf an Care-Tätigkeiten, wenn z.B. aufgrund von Hitze die Kreislaufprobleme steigen oder die psychologischen Folgen z.B. aufgrund von Landverlust durch Überschwemmungen o.ä. aufgefangen werden müssen. Gleichzeitig werden die Bedingungen, unter denen Care-Arbeit geleistet wird schwieriger: Auch in Notunterkünften muss gekocht, getröstet und gepflegt werden, zerstörte Infrastrukturen müssen durch Zwischenlösungen ersetzt werden.

Wir sind daher alle sowohl von der Care- als auch von der Klimakrise betroffen. Das allerdings nicht im gleichen Maße: Sowohl in Bezug auf Care als auch in Bezug auf die Folgen des Klimawandels muss die Komplexität und Vielschichtigkeit von Betroffenheit berücksichtigt werden. Im globalen Süden sind die Auswirkungen der Klimakrise schon jetzt viel stärker spürbar als im globalen Norden, obwohl dieser Hauptverursacher ist. Verstärkt wird dies durch die Art und Weise, wie wir hier Care organisieren bzw. auslagern. Aufgrund des Gefälles von Reichtum und Armut im Globalen Süden und Osteuropa kommen Menschen nach Westeuropa, um hier unter prekären Bedingungen Sorgearbeit zu leisten. Dadurch fehlen in den Herkunftsländern Menschen, die dort Sorgearbeit übernehmen und es sinkt die gesellschaftliche Resilienz, Krisen durch tragfähige Sorgenetze abzufedern. Auch im globalen Norden trifft die Klimakrise Gruppen unterschiedlich stark: Wer wohnt und arbeitet in klimatisierten Gebäuden? Welche Personen können Temperaturen von über 35° „wegstecken“? Wer ist durch das Sozialsystem abgesichert? Wessen Bedürfnisse werden ernst genommen und was gilt als schützenswert? Die Betroffenheit hängt an sozioökonomische Bedingungen, Gender, Race sowie mentaler und körperlicher Gesundheit.

Für eine klimagerechte und wünschenswerte Zukunft muss Care ins Zentrum der Gesellschaft!

Daher treten wir für eine Gesellschaft ein, in der alle Zugang zu gut ausgebauter und demokratisch organisierter Care-Infrastruktur haben und in der Care-Aufgaben in selbstorganisierten Sorgesettings kollektiv organisiert werden. Eine solche Gesellschaft kommt mit weniger Gütern und individuellen Ersparnissen aus, um die Bedürfnisse der Einzelnen zu erfüllen. Und sie ist lebenswert, da alle Menschen versorgt werden und sich entsprechend ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse einbringen und kümmern können und grundlegende Bedürfnisse ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

Durch tragfähige Care-Infrastrukturen und Sorgebeziehungen können wir uns gegenseitig absichern und unterstützen. Das ist zentral für weitere gesellschaftliche Veränderung und wird umso wichtiger, wenn Krisen und Risiken durch den Klimawandel entstehen bzw. sich verstärken (z.B. wegen Gesundheitsbelastung, Zerstörung durch Katastrophen, Wegfall mancher Erwerbsarbeitsplätze). Die genannten Elemente einer Gesellschaft, in der Sorge und soziale Beziehungen allgemein zentrale Bedeutung erhalten, helfen, Ängste in Bezug auf Klimakrise und die notwendigen Veränderungen in materieller Ökonomie und Lebensweise aufzufangen und individuelle Notlagen kollektiv aufzufangen. Ängste und Belastungen in Zusammenhang mit der Klimakrise ernst zu nehmen und zu beachten, ist ebenfalls ein Element sorgender Haltung.

Warum brauchen wir also Vergesellschaftung im Care-Bereich?

Klimagerechtigkeit erfordert weniger Ressourcenverbrauch und daher Abkehr von der skizzierten imperialen Lebensweise. Das geht nur in einer Gesellschaft, die sozialen Beziehungen, gerade auch Care, viel größere Relevanz gibt. Care muss endlich als gesellschaftliche Aufgabe angesehen werden – unabhängig von Gender oder anderen Kategorien bzw. Zuschreibungen wie sozioökonomischen Bedingungen oder Race. Dazu muss das Ganze der Sorgearbeit vergesellschaftet werden, also die Rahmenbedingungen unbezahlter Care-Arbeit ebenso wie Kitas und Pflegeheime.

Der Kampf für all diese Veränderungen lässt sich als revolutionäre Realpolitik verstehen. Damit meinen wir: Die Bedingungen für Menschen in Sorgebeziehungen verbessern sich unmittelbar und deutlich. Es scheint auf, wie ein Leben jenseits des Kapitalismus sein könnte. Menschen mit mehr Zeit und Energie und ersten Kampferfahrungen können leichter miteinander weitere Schritte gehen. Hergebrachte Normen und Arbeitsteilungen stehen potentiell in Frage. Es ist zugleich ein Beitrag zur Klimagerechtigkeit. Denn in einer Lebensweise, in der Beziehungen im Zentrum stehen, muss Verletzlichkeit keine Quelle der Angst mehr sein und ist die Versorgung und Beteiligung aller gesichert ist, so dass individuelle Absicherung, individueller Besitz, Status und Schutz vor anderen ihre übermäßige Bedeutung verlieren.

Wie sieht eine Vergesellschaftung im Care-Bereich aus?

Vergesellschaftung bedeutet die Entprivatisierung von Einrichtungen und die Entprivatisierung der „unsichtbaren“ Care-Arbeit in den Haushalten. Und Vergesellschaftung heißt Demokratisierung. Das heißt einen Zugang zu Care-Infrastrukturen für alle, demokratische Entscheidungs- und Organisationsstrukturen sowie kollektives Experimentieren mit Care-Praxen in selbstorganisierten Sorge-Settings. Konkret formuliert sind mögliche erste Schritte der Vergesellschaftung:

  • Kollektive, gemeinsam organisierte Lösungen für unbezahlte, häusliche Care-Arbeit
  • Keine Profite und keine Privatisierungsinstrumente im Care-Bereich
  • demokratisch gestaltete Care-Einrichtungen, in denen alle Beteiligten über die Bedingungen und Ausgestaltung der Angebote bestimmen können.
  • demokratische Entscheidungen über die Organisation von Care-Aufgaben, z.B. durch Care-Räte
  • bedingungsloser Zugang zu gut ausgebauten Care-Infrastrukturen, die sich am Bedarf und den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren
  • Solidarische Finanzierung der Care-Aufgaben, z.B. Pflegevollversicherung oder Verbot von Privatversicherungen im Care-Bereich
  • Mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit z.B. durch eine Erwerbsarbeitszeitverkürzung und/oder eine erwerbsunabhängige individuelle Absicherung

Was bereits geschieht

Die Care Bewegung ist groß und vielfältig. Zahlreiche Bündnisse, Gruppen und Netzwerke setzen sich für grundlegende Verbesserungen der Bedingungen der Care-Arbeit ein und sie erproben solidarische Care-Praxen. In den letzten Jahren hat die Krankenhausbewegung viele Menschen mobilisiert, um für mehr Mitbestimmung, bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Versorgung der Patient:innen zu kämpfen und dabei wichtige Erfolge gefeiert. Dabei haben Gewerkschaften und feministische Gruppen erfolgreich zusammen gearbeitet. Erste Verbindungen gab es auch schon in die Klimabewegung. Das Bündnis Unser Klinikum setzt sich für die Rückführung der Uniklinik Marburg/Gießen in die öffentliche Hand ein und in Bremen gibt es Bemühungen, Altenheime zu rekommunalisieren. Zahlreiche lokale Gesundheitszentren sowie die Zentren des Poliklinik Syndikats arbeiten für eine gerechte, ganzheitliche, solidarische Versorgung. Kollektive wie das Tagespflegekollektiv Lossetal oder Autonomia organisieren bezahlte Care-Arbeit als Kollektiv. Auf nationalstaatlicher Ebene bringt ver.di eine solidarische Pflegeversicherung ein und organisiert gemeinsam mit weiteren Organisationen im Zusammenschluss Krankenhaus statt Fabrik Proteste gegen die Krankenhausfinanzierung über Fallpauschalen. Viele Initiativen kümmern sich um die Rahmenbedingungen: Gesundheitsversorgung ohne Ausschlüsse, erwerbsunabhängige individuelle Absicherung, Lohnarbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich für niedrige Stundenlöhne. Aufbauend auf dem Konzept der Sorgenden Städte kämpft die Kampagne Sorge ins Parkcenter dafür, in einem weitgehend leerstehenden Einkaufszentrum ein Sorgezentrum aufzubauen.

Das Konzept der Sorgenden Stadt – feministische Vergesellschaftung

Wir benötigen also Transformation auf verschiedenen Ebenen, um solidarischer, klimagerechter, care-zentrierter zu leben: international, nationalstaatlich, lokal. Das Konzept der Sorgenden Städte stellt einen Rahmen dar, wie eine Vergesellschaftung von Care Teil einer Transformation in eine klimagerechtere Stadt/Gesellschaft sein kann. Die Idee ist nichts komplett Neues, sondern steht in langer Tradition von Projekten verschiedener sozialer Bewegungen. Beispiele sind aus der Arbeiter*innenbewegung: Unterstützungskassen wurden verallgemeinert und kooptiert zu Sozialversicherungen, Infrastruktur für kollektivere Wohn- und Careformen wurde z.B. im Roten Wien nach dem 1.Weltkrieg errichtet. Aus der Frauenbewegung: Kinderläden oder Frauenhäuser entstanden als feministische Projekte. Aus antiautoritären Bewegungen insgesamt: Commons-Projekte wie Kommunen oder Kollektivbetriebe und Stadtteilzentren als wichtige Organisationsform entstanden, z.B. ALSO/Oldenburg, Mehringhof/Westberlin). Aus der Gesundheits- und Care-Bewegung: Gemeinschaftskrankenhäuser und -praxen und Frauengesundheitszentren entstanden; Care-Bündnisse begleiten Streiks in Kitas oder Krankenhäusern seit Beginn der „Sorgestreik-Welle“, z.B. 2013 an der Charité Berlin.

Das Konzept der Sorgenden Städte ist ein feministischer Ansatz zur Vergesellschaftung von Care als Teil einer sozial-ökologischen Transformation. Konkrete Ansätze sind beispielsweise die Care-Blocks in Bogota, das Maßnahmenpaket der linken Stadtregierung von Barelona en Comú für eine Demokratisierung der Sorge in der Stadt Barcelona oder das Verdragon, ein Stadteilzentrum für Antirassismus und populäre Ökologie. Die Sorgende Stadt stellt Sorge(-bedürfnisse), Teilhabe und Sorge um den Planeten ins Zentrum, indem sie bedürfnisorientiere, wohnortnahe & aufsuchende Unterstützungsstrukturen schafft.