Sorgearbeit fair teilen – oder Sorgekrise überwinden?

Beitrag in der Reihe Perspektiven von Elfriede Harth (Care Revolution Rhein-Main)

(Gespiegelt aus dem Blog ‚beziehungsweise – weiterdenken‘: https://www.bzw-weiterdenken.de/impressum/ )

Illustration: Elfriede Harth

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Jugend und Frauen haben 14 Verbände während der ersten Welle der Corona-Pandemie ein Bündnis gegründet, das sich zum Ziel gesetzt hat, „die Sorgelücke zwischen Frauen und Männern zu schließen“. Träger ist der Deutsche Frauenrat.

Zum 28. Mai 2021 – während der dritten Pandemie-Welle – gab das Bündnis eine Pressemeldung heraus unter dem Titel: „Corona-Krise: Wir brauchen einen Aufbruch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit!“ Es wird der Internationale Aktionstag für Frauengesundheit, der 28. Mai, zum Anlass genommen, zu beklagen, dass die Pandemie die Gesundheit von Frauen besonders gefährdet bzw. angegriffen habe. Und als Grund dafür wird die Verschärfung der Zweifach- und Dreifachbelastung von Frauen durch die Corona-Krise gesehen.

Schon vor der Pandemie litten Frauen unter Zwei- und Dreifachbelastung.  Denn Frauen müssen, wie es auch von Männern erwartet wird und bei diesen die Regel ist, zuallererst für ihren Lebensunterhalt und ihre finanzielle Absicherung im Alter eine Erwerbstätigkeit ausüben. Neben dieser existenziellen Notwendigkeit obliegt es den Frauen vielfach zusätzlich noch, den Haushalt zu führen, also eine zweite Arbeitsschicht zu bewältigen, und sich im Falle einer Mutterschaft um Kinder zu kümmern, was zu einer dritten Arbeitsschicht führt. Statt Kinder – manchmal auch noch zusätzlich zu Kindern – können es auch Kranke und Pflegebedürftige sein, die daheim gepflegt werden (müssen). Nur eine Minderheit der Frauen mit hohem Einkommen kann diese zweite und dritte Arbeitsschicht delegieren. Und zwar häufig an eine andere Frau, die meistens dann einen migrantischem Hintergrund hat.

Leben Frauen in einer Ehe oder Partnerschaft, wird die zweite und dritte Arbeitsschicht zwar zum Teil unter beiden Partner:innen aufgeteilt, aber immer noch selten zu gleichen Teilen. Männer sind generell öfter bereit, mehr Zeit in die Erwerbsarbeitsschicht zu stecken als Frauen. Wird Frauen die Zweifach- oder Dreifachbelastung zu schwer, entscheiden sie sich dann eher als Männer dafür, ihre erste Arbeitsschicht zugunsten der zweiten und dritten zu verringern oder gar ganz aufzugeben. Das führt zu finanziellen Einbußen, da nur die erste Arbeitsschicht, nämlich die Erwerbsarbeitsschicht, entlohnt wird. Die anderen beiden Tätigkeiten werden weitgehend als rein private Angelegenheit betrachtet.

Geld verdienen, um Miete und Brot zu bezahlen, müssen alle. Aber ist nicht jede:r frei, sich dafür oder dagegen zu entscheiden, sich „Kinder anzuschaffen“ oder Angehörige zu pflegen?

Die Antwort ist: leider nein! Wenn nicht schon durch Brauch und Moral, so ist der Generationenvertrag klar in unserer Gesetzgebung verankert. Eltern – und zuallererst die Person, die ein Kind gebiert – tragen die volle Verantwortung für ihr Kind (Art. 6 GG, art. 27 UN Kinderrechtskonvention). Aber auch die Verantwortung von erwachsenen Kinder ihren alten Eltern gegenüber ist als Pflicht genau gesetzlich geregelt (§ 1601 ff BGB).

Es ist also nur eine logische Schlussfolgerung, dass Frauenrechtsorganisationen jetzt, wo die Gesundheit vieler Frauen wegen einer akuten Verschärfung der Zwei- bzw. Dreifachbelastung in unserer (neoliberalen) Gesellschaft gefährdet oder beeinträchtigt wurde, von der Politik fordern, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Frauen entlasten.

Die Forderungen, die nun das Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“ am Internationalen Aktionstag Frauengesundheit stellt, sind jedoch schlicht enttäuschend. Was als Problem im Privatleben von Menschen diagnostiziert wird, soll privat von den Betroffenen und auf deren Kosten gelöst werden. Es sollen Männer einen „fairen Teil“ der (unbezahlten) zweiten und dritten Arbeitsschicht übernehmen, damit Frauen sich stressfreier der ersten Arbeitsschicht widmen können. Damit sie so „berufliche Entfaltung“ erfahren. Die Preisfrage, die sich stellt, ist: Wie soll die Politik Männer dazu bekommen, diese ihrer eigenen beruflichen Entfaltung im Weg stehenden Tätigkeiten zu übernehmen?

(Zwischenfrage: Warum nur gründen Menschen Familien und warum bekommen Menschen Kinder, wenn alles damit Verbundene belastet und anscheinend kein Terrain für persönliche Entfaltung bietet? Wenn es dagegen nur die berufliche Entfaltung behindert?)

Was sind also die konkreten Vorschläge des Bündnisses?

Erstens: Eine Steuerreform, nämlich die Abschaffung des Ehegattensplittings. Dadurch sollen verheiratete Frauen davon abgehalten werden, auf eine mögliche „berufliche Entfaltung“ in einer Erwerbstätigkeit zu verzichten, und sich legitim weigern können, Zeit in die anderen – als problematisch betrachteten – zwei Schichten zu stecken.

Allerdings: Für unverheiratete Frauen greift das Ehegattensplitting nicht. Und auch für Menschen und Haushalte, die aufgrund von Armut keine Einkommensteuern zahlen (Hartz IV-Empfänger:innen zum Beispiel) ist eine solche Reform irrelevant. Sie erhalten ja auch kein Kindergeld, kein Elterngeld und – sollte es denn mal eingeführt werden – vermutlich auch kein Pflegegeld. Diese Menschen werden, auch wenn sie unbezahlt gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten erbringen und sich etwa um Kinder oder Pflegebedürftige kümmern, als Sozialschmarotzer:innen betrachtet, die auf Kosten der Erwerbstätigen leben.

Zweitens: Es sollen Männer, ganz gleichgültig über welches Erwerbseinkommen sie verfügen, ihre Erwerbsarbeitszeit (und somit ihr Einkommen) verringern, damit sie mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit haben. Sollen also Männer genau das tun, wovon Frauen dringend abgeraten wird? Nämlich Teilzeit arbeiten, obwohl damit Altersarmut vorprogrammiert ist? Zumal Teilzeit eher in weniger gut vergüteten Berufen möglich ist.

Woher der Mann kommen soll, mit dem Alleinerziehende die unterschiedlichen Formen von Arbeit teilen sollen, bleibt ebenfalls ein Rätsel.