Vernetzung für die Care Revolution: Bericht vom bundesweiten Netzwerktreffen am 1. November 2014 in Frankfurt

Bericht von Tanja Carstensen

Nachdem sich im März 2014 ca. 500 Menschen, die in verschiedenen Feldern sozialer Reproduktion politisch aktiv sind, in Berlin zur Aktionskonferenz Care Revolution getroffen hatten, fand am 1.11. das erste Netzwerktreffen statt. Es kamen knapp 50 Teilnehmer_innen, u.a. aus queer-feministischen Gruppen, linken Studierenden-Gruppen, aus der Interventionistischen Linken, Attac, aus FrauenLesben-Gruppen, Initiativen für das Bedingungslose Grundeinkommen, Gewerkschaften und Kirchen sowie Beschäftigte aus Pflege, Assistenz und Sozialer Arbeit, Eltern, pflegende Angehörige, Künstler_innen und interessierte Einzelpersonen.

Im Wesentlichen ging es bei dem Treffen um die Frage, wie das Netzwerk politisch arbeiten kann. Diskutiert wurde in World Cafés und Plenen u.a.: Wo sehen wir uns in der Care Revolution, was ist mein Beitrag? Wie werden wir sichtbar und einflussreicher, wie können regionale Netzwerke funktionieren? Wie lassen sich die Interessen von Betroffenen, Erwerbstätigen und Aktivist_innen besser verbinden? Wie können Aktions- und Interventionsformen aussehen?

Zum Einstieg stellte Gabriele Winker verschiedene Schritte auf dem Weg zur Care Revolution vor. Klares Ziel sei eine solidarische Gesellschaft. Dies erfordere grundlegende politische Transformationsstrategien. Vernetzung der bestehenden Gruppen, die bereits im Bereich Care kämpfen, stelle hierbei – neben dem Kampf um individuelle Absicherung und dem Ausbau sozialer Infrastrukturen – einen ersten wichtigen Schritt dar (ausführlicher lassen sich diese Schritte in dem nächstes Jahr bei Transcript erscheinenden Buch nachlesen).

In einigen Städten gibt es bereits erste Versuche, solche Netzwerke auf lokaler Ebene aufzubauen. In Freiburg trifft sich seit Juli eine Gruppe, die sich derzeit am Beispiel des kommunalen Gesundheitswesen mit Möglichkeiten auseinandersetzt, öffentlichkeitswirksame Aktivitäten, Veranstaltungen oder eine Dokumentation der Notlagen Sorgearbeitender in der Stadt durchzuführen. Gleichzeitig plant die Gruppe in Freiburg eine Veranstaltung zum 8. März, auf der sie auf die Bedeutung von Sorgearbeit im Neoliberalismus hinweisen und weitere politische Handlungsschritte diskutieren möchte. In Berlin/Brandenburg organisiert der AK Reproduktion Berlin regelmäßige Treffen, mit dem Ziel die regionale Vernetzung voranzubringen und gemeinsame Themen und Ziele auszuloten. Außerdem gab es eine Beteiligung an den Protesten gegen den 1000-Kreuze-Marsch. Auch in Hamburg kamen im August Interessierte zu einem ersten Treffen zusammen, um über die Möglichkeiten, Wünsche und Bedürfnisse einer Vernetzung zu diskutieren. Hier wurden u.a. die Anliegen formuliert, die Unsichtbarkeit von Care-Tätigkeiten aufzubrechen, Tabuthemen (z.B. Demenz) zu behandeln, Formen zu finden, sich gegenseitig bei Kämpfen, Demonstrationen oder Aktionen zu unterstützen. Zudem haben bereits dieses Jahr am 1. Mai in verschiedenen Städten Aktionen unter dem Motto „Tag der unsichtbaren Arbeit“ stattgefunden. Beim Vernetzungstreffen in Frankfurt wurde deutlich, dass auch in anderen Städten Interesse an lokalen Netzwerken besteht.

Darüber hinaus wurden verschiedene Ideen für gemeinsame Aktionen und weiterführende Perspektiven diskutiert. So ist in Frankfurt im Rahmen des Blockupy-Festivals eine Arbeitsgruppe zu „Kämpfen um die soziale Infrastruktur in Europa“ geplant. Nächstes Jahr sollen in vielen Städten Aktionen zum 8. März und zum 1. Mai stattfinden. In Berlin wird es am 8. März eine große Demo zum Frauen*kampftag geben, auf der auch Care-Themen eine Rolle spielen sollen. Für Aktionen zum „Tag der unsichtbaren Arbeit“ am 1. Mai 2015 wurden erste Ideen gesammelt. Teilnehmer_innen aus verschiedenen Städten haben Aktionen an diesem Tag angekündigt, so dass die Anliegen der Care Revolution an unterschiedlichen Orten sichtbar werden. Außerdem stehen beispielsweise im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste im nächsten Jahr Tarifverhandlungen an, die vom Netzwerk Care Revolution begleitet und unterstützt werden sollen. Im Zusammenhang mit den Tarifverhandlungen plant ver.di in Tarifgemeinschaft mit der GEW u.a. eine Aufwertungskampagne der Berufsbilder. Die Rosa Luxemburg Stiftung plant zusammen mit dem Netzwerk Care Revolution, der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Aktiven von ver.di und einzelnen Sozialverbänden eine Strategiekonferenz zu Sorge- und Pflegearbeit, die an die Aktionskonferenz anknüpfen soll. Auch zu den im Bundestag anstehenden Entscheidungen zum Thema Pflege könnte mobilisiert werden. Neben Verbindungen zu den Forderungen nach Bedingungslosem Grundeinkommen sind auch Vernetzungen mit den Kämpfen um Wohnen und Stadt denkbar. Außerdem entstanden Ideen wie „Agitprop vor großen Pflegeinrichtungen“. Auch könnte noch stärker als bisher auf aktuelle Kämpfe Bezug genommen werden, z.B. streikten in Hamburg zwei Tage vor dem Frankfurter Treffen 4000 Erzieher_innen und Eltern für mehr Personal in Kitas.

Es gibt also viele Ideen und Ansätze für Aktionen und Protest. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass Raum für inhaltliche Auseinandersetzungen zur Verfügung stehen muss. Nach wie vor ist der Begriff „Care“ – vor allem im Kontrast zu „Reproduktionsarbeit“ – Ausgangspunkt für kritische Diskussionen, und die Frage offen, was wir jeweils meinen, wenn wir von „Care“ sprechen. Genauso wichtig sind die Verweise darauf, Geschlechterverhältnisse, unbezahlte Care-Arbeit und feministische Perspektiven nicht aus dem Blick zu verlieren. Einigkeit bestand auch darin, dass es wichtig ist, sich Zeit zu nehmen, sich gegenseitig zuzuhören, auch um der Unterschiedlichkeit der Problemlagen, Interessen und Bedürfnisse gerecht zu werden. Und nicht zuletzt bleibt es unerlässlich, immer wieder auf die selbst produzierten Ausschlüsse zu achten. Ein Vorschlag war deshalb, Gruppen und Personen, denen es nicht möglich ist zu kommen, z.B. weil sie zeitlich so stark in Pflege oder Betreuung eingebunden sind, über ein Pat_innensystem in das Netzwerk zu integrieren. Auch wurde festgehalten, dass Einzelpersonen, auch ohne Gruppe oder Verband im Rücken, Teil des Netzwerks werden können.

All diese Themen bleiben Herausforderungen. Dennoch können gerade die inhaltliche Breite und Vielfalt der Ansatzpunkte für Aktionen die Stärke für ein Netzwerk Care Revolution sein.

Einen zweiten Bericht gibt es hier (PDF): Bericht vom bundesweiten Netzwerktreffen am 1.11.2014 in Frankfurt a.M.