In diesem Beitrag stellt Elfriede Harth von der Care Revolution-Regionalgruppe Rhein/Main dar, weshalb und mit welchen Forderungen sich die Gruppe am globalen Aktionstag für sicheren Schwangerschaftsabbruch (28.09.) beteiligt.
Seit einigen Jahren wird auch in Deutschland der 28. September als globaler Aktionstag für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch begangen. Wie auch andere feministische Aktionstageliegt der Ursprung des 28. Septembers in Lateinamerika. 1990 beschlossen Feministinnen aus Lateinamerika und der Karibik diesen Tag als Aktionstag für die „Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Lateinamerika und der Karibik“ zu begehen.
Ausgerechnet katholische Feministinnen, (Católicas por el Derecho a Decidir, Katholikinnen für das Recht zu entscheiden) spielten eine federführende Rolle in diesem Kontext. Katholizismus und die spanische/portugiesische Sprache sind das, was die spanischen/portugiesischen Konquistadoren dem Kontinent als Gegenleistung für seine Ausplünderung hinterließen, eine Ausplünderung, die Europa mit den Ressourcen versorgte, die Grundlage für die Entwicklung des Kapitalismus wurden.
Warum den 28. September? Weil in Brasilien, dem letzten Land, das die Sklaverei abschaffte, am 28. September 1871 das erste abolitionistische Gesetz verabschiedet wurde, das „Gesetz des Freien Schoßes“: Ein Kind, das ab diesem Datum von einer Sklavin geboren wurde, galt als frei. Hundertzwanzig Jahre später ging es den lateinamerikanischen Feministinnen darum, nicht nur die Frucht des Schoßes als frei zu deklarieren, sondern der Frau selbst, in deren Körper sich der fruchtbare Schoß befindet, ihre souveräne Entscheidungsmacht über dieses „Territorium“ anzuerkennen.
In allen Gesellschaften führte schon immer die reproduktive Fähigkeit von Frauen zu allen möglichen Bräuchen, Strukturen und Regelungen. Das Überleben und die Größe der Gruppe hängen von dieser Fähigkeit ab. Jeder Bauer freut sich, wenn seine Kuh ein weibliches Kalb wirft, weil ihm dessen biologische Fähigkeit Reichtum verspricht; es wird Milch geben und die Herde sich vergrößern. In den industriellen Hühnerfarmen werden hier in Deutschland männliche Küken gleich nach dem Schlüpfen als unliebsamer Kostenfaktor geschreddert, da sie keine Eier legen…
Kinder in die Welt zu setzen ist eine der Grundlagen unseres Existierens als menschliche Spezies. Wir alle wurden geboren. Niemand von uns wurde gefragt, ob wir überhaupt geboren werden wollten, ob von dieser Frau, ob in diese sozialen Verhältnisse hinein, ob mit diesem Geschlecht und dieser Hautfarbe, etc.
Und niemand von uns hat sich auch seine/ihre Geburt gekauft, hat dafür bezahlt, geboren und großgezogen zu werden. Es geschah, sonst wären wir heute nicht hier. Dass es geschah, liegt daran, dass Menschen dafür gesorgt haben. Gut oder weniger gut, je nach ihren Möglichkeiten und Lebensumständen. Wir sind also das Ergebnis von jahrelanger (meistens unbezahlter) Sorge.
Noch (!) ist es nicht möglich, einen Menschen zu „produzieren“. Die moderne Reproduktionsmedizin kann zwar bereits im Labor die Entwicklung eines Embryos anstoßen, indem in vitro eine Eizelle mit Spermien in Kontakt gebracht wird. So wurde vor 45 Jahren Louise Brown geboren, das erste „Retortenbaby“. Seither sind über eine Million Kinder so entstanden.
Aber ab einem betimmten Punkt muss dieser Retorten-Embryo in den Körper eines Menschen mit Gebärmutter einpflanzt werden, damit er überlebt und zu einem lebensfähigen Menschen ausreifen kann. Er ist dafür bedingungslos auf den Austausch mit diesem anderen menschlichen Körper angewiesen, ist vollkommenen abhängig davon. Abhängigkeit und ständiger Austausch sind ihm also von Anbeginn seiner Existenz in die Gene eingeschrieben. Mensch wird man nur in der innigen Beziehung zu Menschen; Care wiederum ist das Knüpfen, Gestalten und Pflegen von Beziehungen.
Ein Kind in die Welt zu setzen ist eine sehr ernste Angelegenheit, mit der wir sehr verantwortungsvoll umgehen müssen. Nicht alle Menschen können Kinder gebären und sie können es auch nur in einem begrenzten Lebensabschnitt. Eine Schwangerschaft ist zwar die „natürlichste“ Sache der Welt, aber sie stellt immer auch ein Risiko für die Gesundheit und das Leben der Schwangeren dar. Und auch wenn ein Kind nach der Geburt nicht zwangsläufig von dem Menschen großgezogen werden muss, der es geboren hat, geschieht es doch fast immer so, und das seit Menschengedenken.
Einem Embryo den eigenen Körper, die eigene Gebärmutter, zur Verfügung zu stellen, damit er zu einem lebensfähigen Menschen heranreifen kann, muss in der Entscheidungsmacht der betreffenden „Person mit Uterus“ liegen. Unser heutiges Verständnis von Freiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit verbietet z.B. auch, einen Menschen gegen seinen Willen zu einer Organspende, z.B. eine der beiden Nieren, zu zwingen, um einem anderen das Leben zu retten, weil ja „zum eigenen Überleben eine Niere ausreichend ist“.
Daher unterstützen wir in unserer Regionalgruppe von Care Revolution die Forderung nach einer Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Ein Schwangerschaftsabbruch sollte als medizinischer Eingriff betrachtet und als solcher geregelt werden. Er gehört in den Bereich der Gesundheit, also der Daseinsfürsorge. Und diese Bereiche, die grundlegende menschliche Bedürfnisse abdecken, sollten – das wäre eine Care-zentrierte Gesellschaft – für alle bezahlbar oder noch besser: kostenlos zugänglich sein.
Die menschliche biologische Reproduktionsfähigkeit ist etwas sehr Kostbares. Wir müssen von früh an lernen, damit sehr verantwortungsvoll umzugehen, denn es ist unsere Fähigkeit, menschliches Leben zu generieren. Und auch wenn ein Embryo an sich nicht lebensfähig ist, sondern zu 100% auf den Körper eines Menschen mit Uterus angewiesen, um bis zur autonomen Lebensfähigkeit auszureifen, so ist es doch ein Lebewesen, das als solches Respekt verdient. Daher ist Abtreibung als Verhütungsmethode abzulehnen. Sexualaufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln sind daher Care. Und es ist wichtig, gerade auch Jungen und Männern ihre Verantwortung für Verhütung bewusst zu machen. Sexualität und Reproduktion sind Bereiche, die ganz besonders von Care und Respekt voreinander geprägt sein sollten.
Gerade in einer Zeit, wo uns die Verletzlichkeit der Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten immer bewusster wird, sollten wir auch den Respekt vor unserer eigenen verletzlichen Körperlichkeit üben, und somit vor der aller Mitmenschen. Ob jung oder alt, ob gesund oder krank … Und genau das ist Care. Care als Haltung. Care als ein Recht. Ein Menschenrecht. Wir haben alle ein Recht auf Care, ein Recht gut versorgt zu werden, wenn wir es brauchen, aber auch ein Recht andere (gut) zu versorgen, weil sie uns wichtig und teuer sind.
Daher fordern wir im gleichen Atemzug, in dem wir befürworten, dss der Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafrecht verschwindet, dass sich Menschen frei dafür entscheiden können, ein Kind in die Welt zu setzen, weil sie eine realistische Möglichkeit haben, es unter guten Bedingungen großzuziehen (reproduktive Gerechtigkeit). Und damit sowohl das Kind als auch die Person oder die Personen, die es dann groß ziehen, ein gutes Leben haben, setzen wir uns von Care Revolution Rhein-Main ein für eine gesellschaftliche Transformation hin zu einer Care zentrierten Gesellschaft, zu einer Care zentrierten Ökonomie, in der folgendes verwirklicht wird:
- Ausreichend Zeit für die lebensnotwendige Carearbeit, um uns gut umeinander kümmern zu können. Daher: Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit auf maximal 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich für Geringverdienende. Niemand soll mit Carearbeit überfordert werden oder dadurch verarmen. Die Sorgebeziehungen sollen gerechter werden.
- Ausbau der sozialen Sicherungssysteme: existenzsicherndes und Teilhabe ermöglichendes Bedingungsloses Grundeinkommen.
- Ausbau der Infrastrukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge, damit alle bezahlbaren Zugang haben zu Gesundheit, Bildung, Wohnen, Mobilität
- Mehr Demokratie, soziale Teilhabe und Mitentscheidung in allen Belangen, die uns betreffen, Abbau aller Formen von Diskriminierung
- Sozial verträglichen Umbau unseren Lebensstils hin zu Schutz von Klima und Biodiversität, und zwar für die Menschen aller Länder dieser Einen Welt. Nicht Profitmaximierung, sondern die Bedürfnisse der Menschen auf einem bewohnbaren Planeten ins Zentrum stellen!