Auch wenn sich das Netzwerk Care Revolution erst ein paar Wochen später konstituierte, stand seine Gründung mit dem Erfolg der Aktionskonferenz im März 2014 fest. Etwa 500 Teilnehmer*innen sorgten dafür, dass der Versammlungsraum im ND-Haus und die Räume für die Workshops überfüllt waren, und die Anwesenden konnten auch feststellen, wie anregend und notwendig Diskussionen sind, die über verschiedene Sorgeerfahrungen und politische Hintergründe hinweg geführt werden. Die Veranstaltungen und Arbeitskreise, die der Konferenz vorausgingen, sind hier dargestellt. Aber auch auf der Straße war Care Revolution schon vor der Aktionskonferenz ein Thema: Bei den Blockupy-Aktionen im Juni 2013 in Frankfurt/Main gab es bereits einen ersten Auftritt mit Care Revolution-Logo.
Das Netzwerk Care Revolution war, aus den Kooperationspartner*innen ersichtlich, von Beginn an tatsächlich sehr divers aufgestellt: Dabei waren etwa feministische Frauengruppen, Gewerkschaftsorganisationen, kirchliche Gruppen, Projekte der Selbstvertretung aus einer gemeinsamen Lage heraus, z.B. als pflegende Angehörige oder Menschen mit Behinderung, oder Gruppen aus der radikalen Linken. Entsprechend lebhaft waren die Diskussionen von Beginn an. Zum einen wurde aus der Neugier aufeinander und dem Wunsch, ins Handeln zu kommen, heraus ein pragmatischer Umgang mit den vorhandenen Unterschieden gesucht. Zum anderen gab es viel inhaltlichen Klärungsbedarf.
Pragmatische Lösungen waren etwa erforderlich, damit bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen und Sprachgewohnheiten das Gemeinsame des Netzwerks erkennbar blieb – bzw. damit trotz des Konsenses die Vielstimmigkeit erhalten blieb. So beschlossen wir schnell, dass das Netzwerk als Gesamtheit keine Aufrufe unterzeichnet, sondern dass dies den Regionalgruppen im Netzwerk überlassen bleibt, die sich auf kurzem Weg intern einigen können. Diese Regionalgruppen mussten erst einmal eingerichtet werden und wurden schnell zum eigentlichen Standbein des Netzwerks Care Revolution. Ursprünglich auch als örtliche Vernetzungen der an Care Revolution beteiligten Gruppen gedacht, entpuppten sie sich als geeignete Möglichkeit für interessierte Einzelpersonen, sich zu beteiligen. Diese in Regionalgruppen verbundenen Einzelaktivist*innen machten bald das Bild des Netzwerks aus. Neben dieser starken Rolle der Regionalgruppen, die jeweils über die eigenen Themen, Inhalte oder Bündnisse entscheiden, war wichtig, dass wir uns auf ein Konsensprinzip einigten, das bei allen wichtigen Entscheidungen gilt, dass einzelne Netzwerk-Mitglieder frei sind, in Workshops oder Artikeln ihr jeweiliges Verständnis von Care Revolution vorzustellen, und zugleich niemand als Sprecher*in des Netzwerks auftreten kann.
Damit auf dieser lockeren Basis nicht alles auseinander läuft, erhalten regelmäßige Diskussionen besondere Wichtigkeit. Diese wurden insbesondere auf den halbjährlichen Netzwerktreffen intensiv geführt, die es seit Herbst 2014 gibt. So forderten schon frühzeitig auf Assistenz angewiesene Aktivist*innen ein, nicht von Sorgegeber*innen und Sorgenehmer*innen zu sprechen, sondern anzuerkennen, dass trotz aller Asymmetrie, die es in Sorgebeziehungen gibt, alle Beteiligten aktiv zu deren Gelingen beitragen. Ebenso brauchte es intensiven Austausch, um den Blick zu schärfen, dass einerseits Sorgearbeit allgegenwärtig und zum Großteil unentlohnt, dabei aber abgewertet und übersehen ist und andererseits zugleich hochqualifizierte berufliche Sorgearbeit existiert, die dadurch abgewertet wird, dass ihre Fachlichkeit kleingeredet wird. Diese teils ungewohnten Positionen anzunehmen bedeutete beispielsweise für Gewerkschafter*innen wie für feministische Gruppen einen Lernprozess. Außer den Netzwerktreffen war die seit 2015 jährlich im Herbst stattfindende Werkstatt Care Revolution in Buchenbach bei Freiburg ein Ort des Austauschs und der Positionsbildung, an dem sich jeweils ca. 20 Aktivist*innen für ein Wochenende trafen.
Die halbjährlichen Netzwerktreffen wurden in immer wechselnden Städten organisiert. Vor allem aber gab es jede Menge Aktionen der im Netzwerk vertretenen Gruppen. Wer sich die Zeit nimmt, auf der Website die Artikel durchzugehen, findet dies eindrucksvoll bestätigt: Von Beginn an waren Care Revolution-Gruppen bei Blockupy-Aktionen und Pflege-Flashmobs, am 1.Mai oder am 8.März auf der Straße. Ebenfalls von Anfang an beteiligten sich lokale Gruppen an der Unterstützung von Arbeitskämpfen in Krankenhäusern, Kitas und Schulen. In diesem Kontext versuchen Care Revolution-Vertreter*innen regelmäßig dafür zu sorgen, dass auch die Perspektive z.B. von Patient*innen, pflegenden Angehörigen oder Eltern in den Blick kommt. Auch nach neuen Bündnismöglichkeiten wird ständig gesucht, z.B. auf lokalen Aktionskonferenzen, wie sie 2017 in Freiburg und Leipzig stattfanden.
Es gab nicht nur Care Revolution-Auftritte und Bündnisaktionen. Die Kooperationsgruppen betreiben ihre eigenen Projekte und berichten darüber. Ein Beispiel aus den vergangenen Jahren sind die ‚Lichtermeer’-Veranstaltungen, die die Äußerung politischer Positionen damit verbanden, behinderten Kindern ein wertschätzendes und schönes Erlebnis zu bieten. Kontakte im Netzwerk sorgten dafür, dass das, was Nicos Farm e.V. in Hamburg begann, in Frankfurt/Main aufgegriffen wurde. Auch nahestehende Gruppen wie die Poliklinik Veddel, die zu einer Stadtteilversorgung beiträgt, die zugleich inklusiv und politisch aktivierend ist, berichteten auf der Website. Zu diesen Aktionen in der Öffentlichkeit kam immer wieder auch diskursives Eingreifen hinzu, das Umfang und Vielfalt von Care-Arbeit verdeutlichte – diese Sicht war vor einigen Jahren noch viel weniger durchgesetzt als heute – und das die Verteilung von Sorgearbeiten nach Geschlechternormen angriff sowie zeigte, wie die Übernahme von Sorgeaufgaben in dieser Gesellschaft Armut und Altersarmut produziert.
An der Entwicklung der Care Revolution-Positionen hatten zudem viele einzelne Aktivist*innen einen Anteil, die in Büchern und Artikeln, Vorträgen und Wirkshops unseren Ansatz vorstellten. Als nur ein, aber zentrales Beispiel sei Gabriele Winkers Buch „Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ von 2015 erwähnt. Alle diese Beiträge führten zu Weiterentwicklung unserer Ideen. Gemeinsame Versuche, unsere Positionen fortzuschreiben, gab es seltener. Vor dem 5-jährigen Jubiläum 2019 wurde ein gemeinsames Papier verfasst. Dieses Jubiläum begingen wir im Rahmen des großen Feminist Futures Festivals in Essen, mit Workshop, Care-Catwalk, Präsentation des Netzwerks und Geburtstagsfeier.
In der Corona-Pandemie verlagerte sich vieles, was in Tagungsräumen und Cafés, auf Demos und an Ständen passiert war, ins Internet. Das betraf auch unsere Netzwerktreffen und die Tätigkeit der Regionalgruppen. Allerdings liefen einige Aktivitäten, auch in Bündnissen, weiter. Ein Beispiel ist die Beteiligung der Dortmunder Regionalgruppe an der Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für alle“. So frustrierend diese Zeit auch in dieser Hinsicht war, unternahmen wir hier auch neue Anläufe. Groß angelegt war die Kampagne „Ein Platz für Sorge“, bei der wir erstmals versuchten, lokale Bündnisse durch einen gemeinsamen, aber lokal abwandelbaren Aufruf, ein gemeinsames Logo und parallele Aktionen zu verbinden. Dabei ging es darum, den Sorgearbeitenden, die während Corona mehr Sichtbarkeit gewannen und zugleich noch mehr überlastet wurden, im Wortsinn öffentlichen Raum zu schaffen. Diese Kampagne, die 2021 in elf Städten auf verschiedene Weise umgesetzt wurde, veröffentlichte eine Broschüre, in der sie auf die Aktionen des Jahres zurückblickte.
Auch Gabriele Winkers auf „Care Revolution“ folgendes Buch „Solidarische Care-Ökonomie“ war aus der Pandemie heraus 2021 entstanden: In der Pandemie wurde die Verknüpfung der Katastrophen in sozialen Beziehungen und ökologischen Kreisläufen nochmals deutlicher. Dieses Thema erhält aktuell auch im Netzwerk mehr Raum. Insbesondere treffen sich Aktivist*innen von Care Revolution und der Klimabewegung im Arbeitskreis Care – Klima – Revolution. Auch der Krieg in der Ukraine setzt die Verknüpfung mit anderen sozialen Bewegungen auf die Agenda: Manche Care Revolution-Gruppen beteiligten sich 2022 und 2023 nicht nur am 8.März und 1.Mai sowie Klimastreiks, sondern auch an den Ostermärschen der Friedensbewegung.