Pflege in der Schweiz krankgeschrieben – die Gewerkschaft Unia kämpft für Besserung

Aus Winterthur/Zürich haben wir von Milena Stepper, zuvor bei Care Revolution Freiburg und jetzt bei der Gewerkschaft Unia in der Region Zürich-Schaffhausen, einen Bericht zu den Bestrebungen erhalten, die prekäre Situation der Pflegebeschäftigten und letztlich aller Menschen in Pflegebeziehungen grundlegend zu verbessern. Vielen Dank!

Die Pflege in der Schweiz steckt in einer tiefen Krise. Pflegende verlassen die Branche, mehr als 300 pro Monat, und gleichzeitig belastet die Fehlfinanzierung auch die Privathaushalte.

Das neoliberale Finanzierungssystem bedeutet, dass Gemeinden und/oder Kantone sowie Krankenkassen und auch die Pflegebedürftigen selbst an der Finanzierung eines Langzeitpflegeplatzes beteiligt sind. In der aktuellen Logik bleibt so ein grosser Teil der Kosten ungedeckt. Diese Lücke hat zur Folge, dass Pflege immer effizienter gestaltet werden muss, was schlussendlich leider als der politische Wille angesehen werden muss.  Die Privatisierung der Branche – Pflege soll profitabel sein und Gewinne erzielen – ist ferner mitverantwortlich für die Versorgungskrise.

Die Probleme bestehen nicht erst seit Corona, sondern sind dadurch lediglich verschärft worden. Die bereits erwähnte Ausstiegsrate sorgt dafür, dass eine gute Pflege nicht mehr möglich ist. Die Langzeitpflege ist chronisch unterbesetzt, enge Stellenpläne sorgen dafür, dass Pflegekräfte häufig spontan einspringen, im Notfall auch ihren Urlaub verschieben müssen. Genau diese Notlage bietet auch keinen Anreiz, eine Ausbildung in der Pflege zu machen resp. in der Branche weiter erwerbstätig zu sein. Die schwierigen Arbeitsbedingungen und Herausforderungen sind somit ursächlich für den Ausstieg von Beschäftigten.

Wichtig ist auch die intersektionale Betrachtungsweise der Krise. Häufig arbeiten meist Frauen, Migrant:innen oder Menschen mit gebundenem Aufenthaltsstatus in der Pflege, sodass die Ausbeutung und Prekarität sich erhöht. Daneben wird die Zahl der Menschen über 80 Jahre bis zum Jahr 2040 um 88% zunehmen. Verlassen also weiterhin so viele Pflegende die Branche, kann eine Versorgung von Alten und Kranken nicht mehr gewährleistet werden.

Dies wird zur Folge haben, dass sich notwendige Pflege und Betreuung ins Private und weiter in informelle Care-Arbeit verschieben. Das hat für die Privathaushalte zur Folge, dass dort zum einen mit einer Zunahme der jetzt schon prekär beschäftigten Live-in-Kräfte zu rechnen ist, zum anderen der binäre Geschlechterunterschied weiter zementiert wird.

Als kleinen Hoffnungsschimmer hat man zunächst den Erfolg der Pflegeinitiative gesehen. Diese wurde am 28.11.2021 mit einer Mehrheit von über 60% aller Schweizer:innen, die an der Abstimmung teilgenommen haben, angenommen. Das bedeutet, dass sich die Schweizer Regierung mit der Umsetzung der Forderungen auseinandersetzen und Änderungen schaffen muss. Im neuen Artikel 117b der Bundesverfassung wird verlangt, dass Bund und Kantone die Pflege als Bestandteil der Gesundheitsversorgung ansehen müssen. Daraus ergibt sich ebenso eine Förderung für Pflegeberufe. Für alle Menschen in der Schweiz soll Zugang zur Pflege und eine Pflege von hoher Qualität garantiert sein. Um dies zu gewährleisten, müssen Bund und Kantone sicherstellen können, dass ausreichend diplomierte Pflegefachpersonen zur Verfügung stehen. Die Umsetzung der Initiative findet in zwei Etappen statt. Die erste setzt sich mit der Berufsausbildung auseinander, die zweite mit den Arbeitsbedingungen selbst.

Bis zur tatsächlichen Umsetzung fordert ein Bündnis von Gewerkschaften und Berufsverbänden, darunter auch die Gewerkschaft Unia mit ihren Pflegekräften, gemeinsam 5 Sofortmassnahmen:

  • Löhne/Arbeitszeit: Deutliche Lohnerhöhung bei gleichem Pensum bzw. Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn.
  • Zulagen: Massive Erhöhung der bestehenden Zulagen und Zeitgutschriften sowie Einführung von Zulagen für kurzfristige Dienstplanänderungen.
  • Ferien: Mindestens 5 Wochen für bis 49-Jährige, ab 50 Jahren dann 6 Wochen, ab 60 Jahren 7 Wochen.
  • Arbeitszeiterfassung: Tatsächliche Erfassung und Abgeltung der Arbeitszeit, z.B. also inklusive Umkleidezeit, Wegezeit von einem Einsatz zum nächsten in der Spitex/ ambulanten Pflege.
  • Kinderbetreuung: Zuschüsse für familienergänzende Kinderbetreuung.

Leider ist es jedoch so, dass sich seit der Annahme der Pflegeinitiative nichts verbessert hat. Durch die schlechten Arbeitsbedingungen, massiven Mangel an Fachkräften und die ungenügende Finanzierung wird die Pflege selbst krank.

Die Gewerkschaft Unia rief deshalb die Pflegenden auf, sich am 22.November 2023 an den Pflegeaktionen in 10 Städten zu beteiligen. Es sollte ein Zeichen gesetzt und die Gesellschaft aufgerüttelt werden, dass die Überlastung der Einzelnen nicht weiter hingenommen wird und es zu sofortigen Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen kommen muss!

Der Link zum Aktionstag:

Pflegende präsentieren die Lösung gegen den Pflegenotstand: «IbuProPflege® Akut»! (unia.ch)

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